Das brennt wie Zunder

 

Kein Land pflanzt so viel Eukalyptus an wie Portugal – obwohl es immer wieder schlimme Brände erlebt. Doch die Papierindustrie verdient zu gut daran. Und nicht nur die.


Dunkelgrün. Das ist die Farbe der Zentralregion Portugals auf Satellitenbildern, wegen all der Bäume. Es sind aber keine Wälder, denn bis auf wenige Ausnahmen wächst dort nur eine Baumart: der Blaue Eukalyptus.

 

Schwarz. Das ist die Farbe, die das Feuer zurücklässt. Letztes Jahr tat es das auf 34.509 Hektar, das ist mehr als dreimal die Fläche der Hauptstadt Lissabon. Im Jahr zuvor verbrannten 110.007 Hektar und im dunklen Jahr 2017 ganze 442.418 Hektar, außerdem mehr als 100 Menschen, unzählige Tiere und das Vertrauen der Überlebenden in den Staat. Aber dazu später mehr.

 

Der Blaue Eukalyptus kommt eigentlich aus Australien – so wie die Koalas, die einzigen Tiere, die seine giftigen Blätter vertragen.  Er wird in Portugal angepflanzt, weil sich aus seinen hellen und kurzen Fasern gut Papier machen lässt. Und zwar so flächendeckend, dass der Blaue Eukalyptus seit 2010 die dominierende Baumart im Land ist. Als invasive Art wird sie nicht klassifiziert. Warum auch? "Invasiv" kommt vom lateinischen invadere – "einfallen, eindringen" –, aber der Eukalyptus ist nicht eingedrungen. Er wurde überschwänglich eingeladen, hier Wurzeln zu schlagen und sich zu vermehren. Und das hat er auch getan.

 

Das Geld, das auf den Bäumen wächst

 

"Es gibt keinen einzigen lebenden Portugiesen, der sich an ein Land und einen nationalen Wald ohne Eukalyptus erinnern kann", schreibt die Navigator Company, Portugals größtes Papierunternehmen, in einer Firmenpublikation. Das Unternehmen rühmt sich, allein ein Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beizutragen. In Portugal wächst das Geld sprichwörtlich auf den Bäumen.

 

Doch die Monokulturen haben Nachteile: In einer Eukalyptusplantage leidet die Artenvielfalt, denn die Bäume verdrängen alles andere. Ihre bis zu zehn Meter langen Wurzeln saugen auch den letzten Tropfen aus der Erde. Das größte Problem aber ist: Eukalyptus brennt extrem gut. Die ätherischen Öle in den Blättern sind wie Brandbeschleuniger, und ihre trockene Rinde löst sich in Streifen von den Stämmen. Brennende Blätter und die leichte Rinde fliegen oft kilometerweit und entzünden weitere Plantagen. Als sogenannter Pyrophyt profitiert der Eukalyptus sogar von Bränden: Nach dem Feuer treibt er seine Zweige aus den durch Rinde geschützten Knospen schnell wieder aus. Und feuerfeste Samenkapseln, die in der verkohlten Erde überdauern, können unbehelligt von konkurrierenden Pflanzen keimen.

 

Im dunklen Jahr 2017 ist das massenhaft passiert.

 

Das dunkle Jahr

 

Der 17. Juni 2017 war ein mancherorts 45 Grad heißer Tag. Daniela Alves war das erste Mal mit ihrem Mann allein am Strand, seitdem ihre beiden Söhne geboren waren. Bis ihre Schwester anrief: "Daniela, da ist ein Feuer." Sie war erst ein Jahr zuvor in die Gemeinde Pedrógão Grande im Zentrum Portugals gezogen, dahin wo es dunkelgrün ist. Es war ihr erstes Feuer. Schnell fuhr das Paar nach Hause. "Wir sahen, wie das Feuer vom einen zum anderen Baum sprang", erzählt Alves. Sie hat als Treffpunkt einen kleinen Strand an einem Fluss vorgeschlagen, nah am Wasser. Alves entschied, mit den Kindern und der Großmutter zu ihrem knapp fünf Minuten entfernten Schwiegervater zu fahren. Ihr Mann blieb mit den Hunden im Haus zurück. Als der Schwiegervater seinen Sohn wenige Minuten später abholen wollte, kam er schon nicht mehr durch die Flammenwand.

 

Das Feuer kam sowohl zu ihrem Mann als auch zu ihr. Weil es auf dem Weg auch Strom- und Handymasten verbrannte, brach das Netz zusammen. Niemand konnte niemanden mehr erreichen. Der Rauch verdunkelte den Himmel und weil nun alle versuchten, ihre Häuser und Gärten zu bewässern, um sie vor den Flammen zu schützen, gab es auch bald kein Wasser mehr. "Als ich nach drei Tagen Dunkelheit das erste Mal wieder ein Stück blauen Himmel sah, brach ich in Tränen aus", erzählt Alves. Alle Familienmitglieder haben überlebt, aber besonders ihr jüngster Sohn ist traumatisiert von diesem Sommer vor sieben Jahren. 

 

Eine "Feuerexplosion"

 

Dieses Feuer wütete wie kein anderes jemals zuvor in Europa. Es schwächte sich nicht in der Nacht ab wie andere Feuer, wenn die Temperaturen sinken und die Luftfeuchtigkeit steigt. Dafür war es viel zu heiß. Stattdessen stieg der Tau in einer Dampfwolke bis fast an die Grenze der Erdatmosphäre auf. Dort gefror er zu Hagel und stürzte mit frischer kalter Luft wieder hinab auf das Feuer. Das löste das aus, was viele Menschen danach als "Feuerexplosion" beschrieben: Die frische Luft heizte die Brände noch stärker an. Das Feuer hatte sein eigenes Wetter gemacht, Pyrocumulonimbus-Sturm wird das genannt. Es war das erste Mal, dass so etwas in Europa passierte. Die Feuerexplosion erfasste die Menschen, die gerade auf der Nationalstraße N-236 zu fliehen versuchten. Hier starben 47 der 66 Opfer – 30 in ihren Autos, 17 auf der Flucht zu Fuß.    

 

Seitdem heißt die N-236 inoffiziell "Highway des Todes". Es ist der Ort, in dem die Hölle auf Erden kam. Fast auf den Tag genau vier Monate später kam die Hölle ein zweites Mal. Am 15. Oktober 2017 brannte Portugal so lichterloh wie niemals zuvor und niemals danach. Mit 119 Toten war das Jahr 2017 das tödlichste Feuerjahr Portugals aller Zeiten.

 

In jedem der Megafeuer waren die Flächen, auf denen sie wüteten, zu rund 60 Prozent mit einem Pyrophyten bewachsen: Eucalyptus globulus, dem Blauen Eukalyptus.

 

Die grüne Wüste

 

Noch im selben Jahr wurde die Agentur für integriertes ländliches Brandmanagement (Agif) gegründet und direkt dem Premierminister unterstellt. Mit Tiago Oliveira wurde für die Spitze ein Mann ausgewählt, der sich bestens mit Eukalyptusbäumen und Feuern auskennt, denn er hatte zuvor knapp 20 Jahre lang als Manager für Innovation und Entwicklung und als Feuerwehrmann für die Navigator Company gearbeitet. Er sagt: "Die Spezies Eukalyptus ist nicht das Problem."

 

Eine seiner Maßnahmen: Er beendete die Kampagne "Portugal ohne Feuer hängt von allen ab". Die neue Kampagne heißt "Portugal Chama" – "chama" bedeutet sowohl "ruft" als auch "Flamme".  Geplante und kontrollierte Feuer sollen nun verhindern, dass ungeplante Feuer unkontrollierbar werden. Er will das Leben auf dem Land wieder attraktiver machen und Schaf- und Ziegenhirte fördern, damit diese mit ihren Tieren das gut brennbare Unterholz klein halten. Es gibt nur ein Problem: Weder Schafe noch Ziegen vertragen Eukalyptus. Man solle, was diese Baumart angeht, nicht so voreingenommen sein, sagt Oliveira.

 

2017 ist nun gefährlich lange her. Lang genug, um sich in Sicherheit zu wiegen. Die Agif ist seit den Neuwahlen im vergangenen Jahr nicht mehr direkt dem Premierminister unterstellt. Das Budget für Feuerprävention hat die Regierung um 62 Millionen Euro gekürzt. Im jüngsten Jahresbericht der Agif fällt das Wort "Eukalyptus" kein einziges Mal. In dem Buch Portugal em Chamas (Portugal in Flammen) des Klimaforschers und -schützers João Camargo dafür umso mehr. Er schrieb es nach dem dunklen Jahr 2017 und sagt genau das, was Tiago Oliveira nicht sagen mag: Die Spezies Eukalyptus ist das Problem. In seinem Buch führt er eine mehrere Seiten umfassende Liste der "Ingenieure" und "Architekten" der "Eukalyptisierung" Portugals auf: Männer, die zwischen Politik und Papierindustrie hin und her wechseln, und sich so ihre eigenen Regeln schreiben können. "Tiago Oliveira ist momentan einer der prominentesten Architekten der Eukalyptisierung", sagt Camargo im Telefonat mit ZEIT ONLINE.

 

Laut der jüngsten nationalen Waldinventur des portugiesischen Instituts für Naturschutz und Forstwirtschaft wächst Eukalyptus heute offiziell auf rund 844.000 Hektar. Das sind fast zehn Prozent der Gesamtfläche Portugals. In keinem Land der Welt wächst bezogen auf die Fläche mehr Eukalyptus.

 

Die große Unbekannte

 

Wenn man heute über die N-236 – den Highway des Todes – fährt, dann sieht sie aus wie jede andere Straße in der Region um Pedrógão Grande: Sie ist gesäumt von raschelnden Eukalyptusbäumen, der vorgeschriebene Sicherheitsabstand von zehn Metern zur Straße wird fast nirgendwo eingehalten. Selbst um eine Gedenkstätte für die Toten – eine Steintafel mit ihren eingravierten Namen neben einem grotesk großen Springbrunnen – wachsen die Bäume, als hätten sie mit dem Ganzen hier nichts zu tun.

 

Anfang 2018 trat ein Gesetz in Kraft, das die Eukalyptusexplosion eindämmen sollte: Es durften keine neuen Eukalyptusflächen mehr entstehen. Das bedeutete aber keine Reduktion der Flächen. João Camargo sagt, die Dinge seien ins Stocken geraten, nicht lange, nachdem die Toten begraben waren. "Wir sind schlechter dran als vorher."

 

Fast alle Bewohnerinnen und Bewohner in Pedrógão Grande haben jemanden in den Flammen verloren – Kinder, Eltern, Freunde, Nachbarn. Auch wenn Eukalyptus die Feuer angeheizt hat – die Bewohner wollen nicht von ihm lassen. Viele von ihnen bauen ihn selbst an, um das Holz später an die Papierindustrie zu verkaufen. Weniger als ein Viertel der 844.000 Hektar Eukalyptus wachsen auf Firmengeländen der Papierunternehmen. Der Rest wächst auf Privatgrundstücken. In Portugal sind nur zwei Prozent der Wälder in staatlicher Hand, das ist der kleinste Anteil in ganz Europa.

 

Diese privaten Ländereien sind ein großes Problem: Sie werden nicht in ganzen Teilen vererbt, sondern aufgeteilt: Aus einem 50-Hektar-Grundstück einer Familie mit fünf Kindern werden am Ende fünf 10-Hektar-Grundstücke. So schrumpfen die Parzellen immer weiter zusammen, die Flächen werden lächerlich klein, manchmal nur so groß wie ein Vorgarten. Mit der Folge, dass sich niemand mehr um sie schert. Die jungen Leute ziehen in die Stadt, die Parzellen verwahrlosen. Rund 20 Prozent der Waldfläche Portugals hat keinen Eigentümer, oder er ist dem Staat zumindest nicht bekannt.

 

Doch Land, um das sich niemand kümmert, ist gefährliches Land. Denn niemand schlägt die Büsche und Bäume zurück, niemand holt die trockenen Blätter oder das Totholz heraus, niemand verhindert, dass neue Eukalyptusbäume aus dem Boden sprießen. Es ist wortwörtlich das Spiel mit dem Feuer. Das räumt auch Tiago Oliveira ein: "Wenn man den Eukalyptus nicht managt, brennt er gefährlich gut." Eines der Ziele der Agif ist es daher, die Grundstückseigentümer zu ermitteln; allerdings bislang nur mit geringem Erfolg.

 

Die tödliche Wiedergeburt

 

Eukalyptus ist die einfachste Möglichkeit, mit einem Stück Land Geld zu verdienen. Er lässt sich schon nach neun Jahren zum ersten Mal ernten, je nach Grundstücksgröße und Qualität bringt das ein paar Tausend Euro. Was hier auf den Hügeln wächst, ist die Altersvorsorge, die Krankenversicherung, das Arbeitslosengeld, der Bausparvertrag und das Kindergeld der Menschen. Sie von etwas anderem zu überzeugen, ist schwer. Daniela Alves hat es versucht. Sie machte eine Ausbildung zur Forstwirtin und gründete mit anderen einen Verein, mit dem sie Agroforste – landwirtschaftlich nutzbare Wälder – statt Eukalyptus pflanzen wollten. "Aber die Gemeinde hat uns nicht unterstützt", sagt sie. Es sei offensichtlich gewesen, was hier gewollt sei – und was nicht. Nach neun Monaten bekamen sie eine kleine Parzelle und pflanzten dort einen Mischwald an, als Gegenprogramm. Bald darauf gaben sie auf. Es war ein winzig kleiner Tropfen auf einem sehr heißen Stein.

 

Auch José Pais versucht die "Vernarrtheit" der Menschen in den Eukalyptus zu brechen, wie er sie nennt. Ihm gehört der Campingplatz am großen Cabril-Stausee. Gerade hat Pais eine Radiowerbung für sein neues Projekt geschaltet: Er will ökonomische Alternativen zum Eukalyptus schaffen und den Leuten zeigen, wie nützlich andere Baumarten sind, auch für die Artenvielfalt. Dass es wichtig ist, die Brombeersträucher auszureißen, weil die schnell vertrocknen und dann gut brennen, und dass gesunde Bäume in einem gesunden Ökosystem so viel Wasser speichern, dass sie als Brandmauer fungieren können. Zumal die Feuer auch schlecht für´s Klima sind: Bäume speichern das Klimagas CO2 in ihren Fasern – die Flammen aber setzen es wieder frei. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat es in Portugal so viel gebrannt, dass die Wälder mehr CO2 in die Atmosphäre freigegeben haben sie speichern.

 

In Portugal ist inzwischen jedes Dorf, jedes Industriegebiet und auch jeder Campingplatz verpflichtet, einen Radius von 100 Metern um das Grundstück so sauber zu halten, dass ein Feuer darin verhungert. José Pais macht das per Hand, er will mit gutem Beispiel vorangehen. "Die Waldarbeit machen die meisten Leute hier entweder mit Maschinen, womit sie auch alle nützlichen Pflanzen zerstören, oder gar nicht."

 

2023 ist erstmals kein Mensch in Portugal in einem Feuer gestorben. Es hat auch – entgegen der Befürchtungen – bislang kein weiteres Megafeuer gewütet.  "Zufall", sagt João Camargo. "Erfolg", sagt Tiago Oliveira.

 

Sieben Jahre nach dem dunklen Jahr wachsen in Pedrógão Grande siebenjährige Eukalyptusbäume wieder gefährlich dicht und gefährlich nahe der Häuser. Die Menschen hier sagen, sie hätten keine Hilfe vom Staat bekommen, daran etwas zu ändern. Dafür aber von der Papierindustrie. Der Zelluloseverband Biond wandte sich an den Verband der Opfer des Brandes und an den lokalen Verband der Walderzeuger und -besitzer, um gemeinsam die Pufferzonen um mehrere Dörfer und die Korridore entlang der N-236 zu räumen – und um andernorts neue Bäume anzupflanzen.

 

Die neuen Bäume sind Eichen, Seekiefern, Erdbeerbäume – und Eukalyptus. Renascer nennt der Verband das Projekt – wiedergeboren werden. Dunkelgrün sieht das von oben aus. Und dann irgendwann wieder schwarz.

 

Die Zeit 2024

 

 

 

 

Dieser Artikel wurde von Journalismfund Europe unterstützt, einer Stiftung zur Förderung von investigativem und unabhängigeb Journalismus.