In Ostafrika werden Viren oft erst nach Wochen in weit entfernten Laboren erkannt. Das gibt ihnen gefährlich viel Zeit. Mobile Labore verkürzen sie
»Man könnte Uganda auch die Petrischale Afrikas nennen«, zitiert Florian Gehre einen ugandischen Kollegen, denn in Uganda lauern einige der gefährlichsten Viren der Welt: Zika, Ebola, Dengue,
Marburg, Krim-Kongo-Fieber, Rifttal-Fieber, Gelbfieber – um nur ein paar zu nennen. Im tropisch-warmen Klima Ugandas und seiner Nachbarländer finden sie den idealen Nährboden, immer wieder kommt
es zu gefährlichen Ausbrüchen. Deswegen ist Florian Gehre hier.
Gehre ist Mikrobiologe und wurde vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) in Hamburg nach Ostafrika geschickt, um der Region einen zeitlichen Vorsprung gegenüber den Viren zu
verschaffen. Seit dreieinhalb Jahren lebt er dafür schon in Tansania. Denn dass sich die lebensgefährlichen Krankheitserreger hier so schnell verbreiten können, dass sie zu Epidemien anwachsen,
liegt maßgeblich an der Zeit, die sie dafür haben – sie werden zu spät erkannt. Die Länder Ostafrikas verfügen über nur wenige Labore, die zu den dafür nötigen molekularbiologischen Analysen in
der Lage sind, in einigen fehlen sie gänzlich. Während eine Probe Tage bis Wochen über endlose Straßen ins nächstgelegene Labor gefahren wird, springt das noch unerkannte Virus bereits weiter von
Mensch zu Mensch.
Tage oder sogar Wochen sind gefährlich viel Zeit für ein hochansteckendes Virus wie etwa Ebola: Das Virus erzeugt zunächst ähnliche Symptome wie eine Grippe, nach einigen Tagen Erbrechen und
Durchfall, oft auch innere und äußere Blutungen. Es überträgt sich über all diese Körperflüssigkeiten, die Inkubationszeit liegt im Mittel bei sechs bis zehn, manchmal auch nur bei zwei Tagen. Es
ist auch der gefährlich langen Zeit zwischen Probenentnahme und Analyse geschuldet, dass das Ebolavirus in seinem bislang größten Ausbruch in der Geschichte zwischen 2014 und 2016 rund 28.000
Menschen infizieren und 11.000 von ihnen töten konnte.
Das war in Westafrika, wo damals niemand damit gerechnet hatte. In Ostafrika aber rechnet man schon jetzt fest mit den nächsten Ebola-Ausbrüchen. Seit 2018 werden etwa in der Demokratischen
Republik Kongo wieder Krankheitsfälle gemeldet – und mehr als 2.000 Tote. Immer, wenn es besiegt geglaubt ist, flammt das Virus wieder auf. Denn es kann in Genesenen noch monatelang im Körper
überleben und etwa über die Samenflüssigkeit auf neue Wirte überspringen.
Wie ein Ausbruch zu einer Epidemie und zu einer Pandemie wird, muss man im Jahr 2021 kaum noch jemandem erklären. Gesundheitsexperten war es schon lange vorher bewusst. Bereits 2017 stellten die
deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung deshalb 27 Millionen Euro bereit, um neun mobile Labore nach Ostafrika zu
transportieren und dort so die Ausbreitung gefährlicher Viren zu verhindern: Diese Labore können zu einem neuen Ausbruch reisen und Proben am Ort des Geschehens binnen acht Stunden analysieren.
Das rettet Menschenleben, und zwar nicht nur lokal. Denn wenn wir in der COVID-19-Pandemie eines gelernt haben, ist es das: Viren überwinden Grenzen und Meere mühelos. Eine Epidemie in China
wurde rasend schnell zum globalen Problem. Eine Epidemie in Ostafrika hat ein ähnliches Potential.
Um dem entgegen zu wirken, bittet die Ostafrikanische Gemeinschaft, der neben Tansania und Uganda auch Kenia, Burundi, Ruanda und der Südsudan angehören, die deutsche Regierung 2015 um
Unterstützung. Dass Deutschland sich zur Hilfe bereit erklärt, liegt auch in den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung begründet, die die Vereinten Nationen sich gesetzt haben. Eines davon, Ziel
3, lautet: »Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern.«
Umschrieben wird diese Aufgabe mit dem Begriff Global Health. »Das Konzept geht über die reine Krankheitsbekämpfung hinaus«, sagt Jürgen May, Abteilungsleiter der Infektionsepidemiologie des
Bernhard-Nocht-Instituts. Das Leibniz-Institut koordiniert die mobilen Labore, dabei ist es May und seinem Team vor allem wichtig, nachhaltige Strukturen zu schaffen. »Auf vorausgehenden
Erkundungsmissionen fanden wir heraus, dass es in den Ländern teilweise schon Labore gab, die aber gar nicht mehr benutzt wurden«, erzählt er. »Ich habe das schon oft gesehen: Da stehen dann hoch
technische Geräte, an denen irgendein Einzelteil kaputt ist oder die niemand bedienen kann.«
Weil sie diesen Fehler nicht wiederholen wollen, beziehen die Hamburger Forschenden von Beginn an Fachpersonal aus der Region mit ein: Aus jedem Land wurden zwei Laborspezialisten ans BNITM
eingeladen, um den Umgang mit den mobilen Laboren zu erlernen – und um zurück in der Heimat weitere Fachkräfte anzulernen. Möglichst bald sollen die Labore ohne externe Hilfe auskommen. Betreut
werden sie bis dahin von Florian Gehre und seiner britischen Kollegin, der Molekularbiologin Muna Affara. Sie kennen sich aus ihrer mehrjährigen Arbeit in Gambia und sind mittlerweile ein
eingespieltes Team.
Wir sind mit beiden zum Videotelefonat verabredet, weil uns eine Recherchereise nach Tansania inmitten der Pandemie keine gute Idee zu sein scheint. Auf dem Bildschirm erscheint dann aber nur das
Gesicht von Florian Gehre. Seine Kollegin hat sich mit COVID-19 angesteckt. Nun kämpft sie gleich in doppelter Hinsicht gegen das Coronavirus.
Florian Gehre ist zuversichtlich, dass Affara schnell gesund wird. Er sitzt im Garten seines Hauses in Arusha, einer Stadt im Norden Tansanias. Von hier aus kann er den mächtigen Vulkan Mount
Meru sehen, der Serengeti-Nationalpark ist nicht weit, der riesige Viktoria-See liegt gleich dahinter. Untermalt von Vogelgezwitscher erklärt Gehre: »Virusausbrüche gehören hier zur Normalität.
Man wusste, dass etwas kommt.«
Als die mobilen Labore im April 2020 in schwarzen Plastikkisten in Arusha ankommen, ahnt noch niemand, dass der nächste Ausbruch seinen Ursprung nicht in der Projektregion selbst nehmen, sondern
im Zuge einer Pandemie nach Ostafrika kommen wird. Als COVID-19 dann über den afrikanischen Kontinent hereinbricht, reagieren die mobilen Labore sofort: Viele von ihnen werden an Ländergrenzen
stationiert, um dort etwa die Proben von Lastwagenfahrern zu testen. »Die Labore tragen so maßgeblich dazu bei, den Handel in der Region trotz Corona aufrechtzuhalten«, erklärt Gehre. Ein
verheerendes Ausmaß hat die Pandemie in Ostafrika bislang nicht angenommen. Mögliche Erklärungen dafür sind der niedrige Altersdurchschnitt von gerade einmal knapp 18 Jahren und die geringere
Bevölkerungsdichte. Außerdem sind Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Krebs oder Herzleiden hier weniger verbreitet als etwa in Europa – es gibt weniger Risikopatienten. Nun allerdings
verbreitet sich die Delta-Variante rasend schnell in der Region, besonders in Uganda und Kenia schnellen die Infektionszahlen nach oben.
Wer wissen will, wie die Arbeit der mobilen Labore abläuft, kann in Videos auf der Internetseite der Ostafrikanischen Gemeinschaft einen Eindruck erhalten: Oft sind es leer stehende Klassenräume,
die zum Labor umfunktioniert werden, Schnüre und bunte Wäscheklammern werden genutzt, um Patientenakten aufzuhängen, technische Geräte stehen auf einfachen Holztischen. Das Herzstück ist die
sogenannte Glove Box: ein Kasten mit fest installierten Handschuhen, in dem das Laborpersonal Proben öffnen und inaktivieren kann, ohne eine Ansteckung zu riskieren.
»Das ist sehr hochwertiges, robustes Equipment«, sagt Muna Affara noch etwas matt in einem Videogespräch zwei Wochen später. Da sitzt sie schon wieder im Büro in Arusha, hinter ihr stapeln sich
Bücher im Regal, daneben hängt eine große Landkarte von Afrika. »Ein Labor kostet gut 290.000 Euro, inklusive zweier Landcruiser für Equipment und Personal«, fährt Affara fort. Das teure
Equipment muss unter den unterschiedlichsten Extrembedingungen funktionieren: »Im Südsudan ist es sehr heiß und staubig, in Tansania dagegen sehr feucht.« Dass die Labore nun ununterbrochen
potentielle COVID-19-Proben untersuchen, sei natürlich nicht geplant gewesen. »Sie arbeiten definitiv an ihren Limits.« Manche Zentrifugen seien wegen des Dauereinsatzes zwischenzeitlich
überhitzt, ansonsten habe es aber bislang keine größeren Schwierigkeiten gegeben.
Zumindest keine technischen Schwierigkeiten. Tansanias Präsident John Magufuli leugnet die Gefährlichkeit des Coronavirus jedoch zunächst und empfiehlt der Bevölkerung statt Quarantäne- und
Abstandsregeln Gebete, Kräuter und Dampfbäder. Er erklärt Tansania für »COVID-19-frei«. Im März verstirbt Magufuli überraschend. Seine Nachfolgerin Samia Suluhu kündigt an, auf die Wissenschaft
hören zu wollen und auch kritische Presse wieder zuzulassen. Neue Infektionszahlen werden allerdings nach wie vor nicht veröffentlicht.
Derweil bekommt das Laborteam in Burundi das Verdienstkreuz des Landes für seine Arbeit verliehen. Und das Labor in Südsudan bereitet sich auf das nächste Virus vor: In der benachbarten
Demokratischen Republik Kongo sind einige Ebola-Fälle nahe an der Grenze des Landes aufgetreten. »Wir haben bereits Personal für den sicheren Umgang mit Ebola-Proben und deren Verarbeitung
geschult. Das Labor ist jederzeit bereit für den Einsatz«, teilt der technische Leiter des südsudanesischen Labors, Donald Duku Samson, per Sprachnachricht mit. Bevor es das mobile Labor im Land
gab, habe es bis zu einer Woche gedauert, dass Proben analysiert werden konnten. Eine der größten Herausforderungen für das Labor sei nun die begrenzte Personalkapazität, berichtet Duku Samson,
da nur wenige Südsudanesen Erfahrung mit der Arbeit in einem Molekulardiagnose-Labor oder eine entsprechende Ausbildung hätten. »Dies wird durch die hohe Analphabetenrate noch verschärft.«
Es sind auch solche Schwierigkeiten, die Muna Affara und Florian Gehre im Blick haben müssen. Vor dem Ausbruch von COVID-19 reisten sie viel zwischen den Laboren hin und her, nun beschränkt sich
die Arbeit größtenteils auf ihr Büro in Arusha, von wo aus sie mit den Teams Kontakt halten. Von dort aus planen sie nun auch Phase zwei des Projekts: Sie entwickeln sechs Containerlabore, in
denen sie Bakterien kultivieren und ihre Resistenzen auf Antibiotika testen können. Die Verträge dafür sind frisch unterschrieben, bis 2024 soll diese Phase laufen – ihnen steht viel Arbeit
bevor.
»Das Problem der Resistenzen ist in armutsbetroffenen Ländern ein ganz anderes als hier«, erklärt Jürgen May, der Abteilungsleiter der Infektionsepidemiologie des Bernhard-Nocht-Instituts. »Da
geht es nicht um multiresistente Keime auf Intensivstationen, sondern darum, dass Infektionen nicht mehr mit den einfachsten Antibiotika behandelt werden können – die bei uns ohnehin schon nicht
mehr wirksam sind, aber bisher in Afrika eben noch wirksam waren.« Auch um diese Resistenzen zu erkennen, soll vor Ort Personal ausgebildet werden. Und dann sagt Jürgen May noch etwas
Grundsätzliches: »Wir haben eine Verantwortung, weil wir mit dazu beigetragen haben, dass die Armut in diesen Ländern entstanden ist und auch erhalten bleibt.«
Helfen müsse man wegen dieser Verantwortung – und auch im globalen Interesse. Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron sagten im Mai 2020 einen Satz, mit dem
sie auf die globale COVID-19-Pandemie Bezug nahmen. Aber dieser Satz ist genauso wahr für all die anderen Viren, die an Hotspots wie in Ostafrika auf ihre Chance zum Ausbruch lauern. Er lautet:
»Wir sind nicht wirklich sicher, solange nicht alle sicher sind.«
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