Leben am Rand

 

Schneller, billiger, unsichtbarer – der Druck im Transportgewerbe ist enorm. Die Leidtragenden sind die Lkw-Fahrer. Ein Blick in ihre Parallelwelt


An einem heißen Sommertag im Juni überschneiden sich unsere Welten zum ersten Mal. Ein kleines Open Air im Kölner Industriegebiet, der Weg führt bis zum Wendehammer, am Metallrohr die Böschung runter in die Büsche. Die Luft flirrt und die Männer sitzen auf Klappstühlen neben ihren Lastwagen und kochen Tee. Irgendwann später sitzen sie zwischen uns auf der Wiese, zwischen den hunderten fluoreszierenden Armbändern. Sie lachen, trinken, tanzen, rufen: „Musiki, Musiki!“ Sie reden in einer Sprache, die wir nicht verstehen. Und ich denke zum ersten Mal: Was sind das für Menschen, die da am Wochenende in einem Industriegebiet darauf warten, weiterfahren zu können, weit weg von zu Hause? In was für einer Welt leben sie? In einer Welt aus dreckigen Straßengräben und Wellblechindustriehallen, aus überfüllten Rastplätzen und überteuerten Currywürsten, aus verdreckten Toiletten und Kondomen in der Ecke?

 

Der erste Lkw-Fahrer, den ich dann richtig kennenlerne, heißt Uwe. Er redet viel und schnell. Zwischendurch nickt er wie einer, der weiß, wovon er spricht. Sein Thema ist das, was alle Trucker beschäftigt: die ausländischen Fahrer. Sie führen für so wenig Geld, dass sie den deutschen Fahrern die Preise kaputt machten, erzählt er zwischen Zügen an seiner Pall Mall. Wochen-, sogar monatelang würden die Fahrer nicht nach Hause kommen, denn Touren innerhalb der reichen EU-Länder seien lukrativer als die in ihren Heimatländern.

 

In der zigarettenfreien Hand hält Uwe ein schwarzes Ledertäschchen, sein linker Arm ist deutlich brauner als der rechte. Über einer kurzen Hose spannt ein schwarzes T-Shirt über seinem runden Bauch. Er hat etwas Fatalistisches an sich, wie er da steht und raucht und weiß, dass es nie wieder wie früher werden wird.

 

In der Warteschleife

 

Dass ausländische Unternehmen in einem Land Güter transportieren, nennt man Kabotage. „Nach einer grenzüberschreitenden beladenen Einfahrt in den Aufnahmemitgliedstaat sind drei Kabotagebeförderungen innerhalb von sieben Tagen erlaubt“, heißt es auf der Website des Bundesverkehrsministeriums. Nach sieben Tagen ist also laut Gesetz Schluss, danach muss der ausländische Transporter das Land verlassen, nicht aber zwingend in sein Heimatland zurückkehren. Grenzüberschreitend dürfen ausländische Fahrer zwischen anderen Ländern unbegrenzt Waren transportieren – und kommen so wochen- oder monatelang nicht nach Hause.

 

Für die Kontrolle der ausländischen Transporte innerhalb Deutschlands ist neben der Polizei das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) zuständig. 240 Kontrolleure prüften 2015 in rund 200.000 Straßenkontrollen, ob sich alle an die Regeln hielten. 1.586 Kabotageverstöße habe das BAG festgestellt, das Bußgeld lag zwischen 1.250 und 2.500 Euro. Außerdem besteht die Möglichkeit, Kontrollen bei Verladern und Empfängern durchzuführen. Das passiert aber seltener. Die Speditionen unterwandern die Verordnung offenbar planmäßig.

 

Feiertag, da müssen die meisten Lkw-Fahrer pausieren, es sei denn, sie haben eine Sondergenehmigung. Wir verfahren uns in den Wirrungen des Hamburger Hafens. Es ist komisch, eine Raststätte nicht von der Autobahn aus anzufahren. An einem weißen Plastiktisch sitzen Dan und Mirco vor Bierflaschen, Nörten-Hardenberger Pils, gibt es billig im Tankstellenshop nebenan. Dan raucht Fairplay, Mirco West. Die Wand hinter ihnen ist mintfarben gestrichen, darauf ein roter Lastwagen mit Flammen. Es sieht aus, als wären die zwei Männer Freunde. Aber sie verstehen sich kaum. Mirco, 51, kommt aus Kroatien und spricht ein paar Wörter Deutsch, Dan, 31, kommt aus Rumänien, und spricht einigermaßen Englisch. Nur sein Handy spricht beide Sprachen und muss übersetzen. Seit vier Tagen hängen sie auf der Raststätte fest, trotzdem sind sie nicht in die Stadt auf der anderen Seite der Elbe gefahren, nicht zu den Landungsbrücken oder in die Speicherstadt. Dan und Mirco bleiben lieber bei ihren Lastwagen, das sei sicherer für die Ladung. Ihr Leben findet an namenlosen, unsichtbaren Orten statt. Die Stadt wäre nah, aber teuer, verwirrend, fremd. Sie sitzen lieber hier an diesem Tisch, in ihrer Parallelwelt aus Straßenzügen, Warteschleifen, Einsamkeit. Sie werden sich vermutlich nie wieder sehen, wenn sie am Montag aufbrechen. Es ist eine Zweckbekanntschaft, damit sich das Warten weniger lang anfühlt.

 

Zehn Bier hat Dan heute getrunken, er lädt uns ein, immer wieder. Ungefähr einmal im Monat ist er zu Hause in Rumänien, Mirco immerhin alle zwei Wochen für ein Wochenende. Er will seine Enkelkinder aufwachsen sehen, sagt er, es bleibt ihm viel zu wenig Zeit. 1.497 Kilometer muss er fahren, um nach Hause, nach Vrbova, zu kommen. Er zeigt es mir auf seinem Navigationssystem. „Is’ okay“, sagt er zu Dingen, die er gut findet. „Katastrophi“, sagt er zu Dingen, die er schlecht findet. Zum Beispiel: „Katastrophi Polski Chaffeur. Zu viel trinken.“ Und da mischt sich Dan ein: „Ja, Wodka!“ Den findet er schlimm, verträgt er nicht – er holt eine neue Runde Bier.

 

Petio, ein Bulgare, kommt angeschlendert, die vierte Sprache am Tisch. Als wir feststellen, dass wir beide Spanisch sprechen, finden wir einen Weg der Kommunikation. Auch er hat eine bittere Sicht auf sein Leben. Ihm wurden schon die Planen aufgeschlitzt, erzählt er. Die Ladung war den Dieben aber offenbar zu wertlos, sie ließen sie da. Durch den Schlitz regnete es dann rein und die Ladung war hin, Petio musste die ganze Tour noch mal fahren.

 

Fast allen Fahrern wurde schon mal Benzin geklaut, Dan wurde sogar in seiner Fahrerkabine mit Pfefferspray überfallen, danach waren Laptop und Handy weg. Anstelle des Pfeffersprays benutzen viele Diebe aber auch Gas. Das leiten sie in die Kabine ein, um den Fahrer im Schlaf zu betäuben. Moderne Lastwagen haben deswegen einen Gassensor in der Fahrerkabine.

 

Warum die Fahrer das alles auf sich nehmen? Ganz einfach: Geld. Ausländische Lkw-Fahrer verdienen zwar nicht viel – etwa 1.500 bis 2.000 Euro –, in ihrer Heimat ist das aber meist viel Geld. Wirtschaftlich schwache Länder wie Rumänien haben jungen Arbeitswilligen nichts zu bieten. Was in Deutschland nur für das Mindeste reicht, finanziert dort ein Leben mit Eigenheim, Familie und Haustier. Davon haben die Fahrer natürlich nicht so viel, wenn sie die meiste Zeit auf Autobahnen und Rastplätzen verbringen. Trotzdem ist es für sie das kleinere Übel, denn die Fahrten in westlichen EU-Ländern bringen viel mehr als in der Heimat. Mirco bekommt elf Prozent von dem, was sein Spediteur an einer Fahrt verdient. An einer Tour von Österreich nach Hamburg verdient er ungefähr 230 Euro.

 

Inzwischen hat sich unsere Runde vergrößert. Der höflich lächelnde Sorin ist hinzugekommen, auch Rumäne. Er wohnt in der Nähe von Stuttgart und spricht fließend Deutsch. Davor hat er in Dänemark und Italien gelebt, immer den Jobs hinterher. Petio leiht mir seine Lederjacke. Dan klampft auf seiner E-Gitarre blecherne Akkorde und bringt den anderen das Rocker-Handzeichen bei, Zeigefinger und kleinen Finger ausgestreckt, sie lachen.

 

Viorel backt Pfannkuchen mit Marmelade auf einem Gaskocher, den er aus einer Schublade hinter den Vorderreifen seines Lastwagens herauszieht. Wir beißen in die süßen Röllchen, die das Bier noch bitterer schmecken lassen. Die Gesichter glühen.

Wir sind die einzigen Deutschen in dieser Runde. Ausländische und deutsche Fahrer zusammen, das gibt es selten. Und nicht jeder Abend verläuft so friedlich wie der, den wir erleben. Erst am Vorabend hatte ein polnischer Fahrer so viel getrunken, dass er mit dem Krankenwagen abgeholt werden musste. Die Fahrer schauen genau, neben welchen Kennzeichen sie ihre Lastwagen parken. Auf unbewachten Parkplätzen bilden sie manchmal Wagenburgen, aus Angst vor Dieben. Das Misstrauen untereinander ist groß, die Missgunst auch.

 

Allein am Tisch

 

Selbst unter den deutschen Fahrern ist es nicht mehr so freundschaftlich, wie es mal war, erzählt uns Bärbel, die Leiterin des Trucker-Treffs. Drinnen ist es schummrig, schwere Holzbänke, ein abgetrennter Raucherraum, Spielautomaten, eine Putzfrau mit Kleingeldschale vor den Toiletten. An der Bar verkaufen sie Kümmerling, Underberg. „Die große Harmonie ist vorbei“, sagt Bärbel. Wenn die Fahrer in ihrem Laden ihr Schnitzel mit Pommes und Salat essen, dann tun sie das meist allein, jeder an seinem Tisch. Stummer, leerer Feierabend. Aber hier gibt es immerhin etwas Warmes zu essen, ein Bad, einen Kiosk.

 

Man muss nur auf die andere Seite gehen, hinter der nächsten Straßenbiegung. Da stehen die, die sich einen bewachten Parkplatz mit Gaststätte für zehn Euro am Tag nicht leisten können. Männer mit harten Mienen und nackten Oberkörpern. Viele winken ab, als wir sie ansprechen. Sie sprechen weder Deutsch noch Englisch. Es ist Sonntag, Zwangspause für die Fahrer. Sie schwitzen in der Hitze, das Metall der Lastwagen glüht.

 

Dann stoßen wir auf Gediminas – Goldkette, Bürstenschnitt, kurze Jeans. Er lehnt in der Tür eines Lkw, oben auf den Sitzen zwei dickbäuchige Männer. Sie kommen aus Litauen, Gediminas ist der Einzige, der Deutsch spricht. Er hatte eine anstrengende Woche: „Das ist harte Arbeit, verstehst du?“ Neun Stunden pro Tag fahren ist erlaubt, an zwei Tagen pro Woche sogar zehn. Die Zeitfenster der Firmen zum Be- und Entladen müssen die Fahrer genau abpassen, sonst müssen sie stundenlang auf die nächste Lücke warten, jeder Stau verursacht Stress, jede Parkplatzsuche auch.

Einen Monat arbeitet Gediminas, einen Monat hat er frei. An seinem linken Handgelenk hat er ein Tattoo seiner Blutgruppe, ein Relikt seiner Zeit als Soldat, Russland gegen die afghanischen Mudschahedin. Nach zwei Beinschüssen bekam er 100 Euro im Monat von der russischen Armee. Er ist wenig Geld gewohnt.

 

Und genau das ist das Problem: Die deutschen Fahrer waren mehr Geld gewohnt. „Seit der Ostblock offen ist, macht es keinen Spaß mehr“, sagt Micha. Wir treffen ihn an einer Parkbank auf einem kleinen Rastplatz in Norddeutschland. Er sitzt auf der Lehne, trinkt Dosenbier und spielt mit seinem Smartphone. Er warte auf jemanden, sagt er. Zwanzig Jahre lang ist er Lkw gefahren, es habe Spaß gemacht. Vor fünf Jahren hat er hingeschmissen. Mittlerweile ist auch seine Spedition pleite. Jetzt arbeitet er mal hier, mal da. Vor zwei Jahren hatte er einen Arbeitsunfall mit Natronlauge. Er zeigt uns Handyfotos von seinem milchigen Auge, seitdem braucht er eine Brille. Als wir uns eine halbe Stunde später verabschieden, ist seine Verabredung noch nicht gekommen. Micha sieht verloren aus, wie er da sitzt und vielleicht selbst nicht mehr weiß, worauf er eigentlich wartet.

 

Mehr als siebzig Prozent der Güter werden in Deutschland mit Lastwagen transportiert. Würden sie nicht mehr fahren, würde schnell gar nichts mehr funktionieren. Die Supermärkte wären leer, die Tankstellen auch. Eine Dystopie. Und doch sind Lastwagen für die meisten Menschen nur ein Ärgernis. Zu viele, zu langsam, und wenn dann noch einer zum Elefantenrennen ansetzt, ist es ganz vorbei mit der Geduld der anderen in ihren kleinen Autos. Was die Lkw-Fahrer sich wünschen, ist ein wenig Anerkennung für ihren Anteil daran, dass alles funktioniert. „Wir sind Menschen, keine Tiere“, sagt Dan auf Englisch. Und fügt hinzu: „Wir haben ein Diskriminierungsproblem.“

 

Aber auch untereinander geraten die Lkw-Fahrer immer häufiger aneinander. Ihre Welt spaltet sich immer stärker, je mehr osteuropäische Fahrer auf den deutschen Markt drängen. Die Branche hierzulande klagt über Nachwuchsprobleme. Und nachdem die EU den Balkanländern nur nach und nach erlaubte, hierzulande Waren zu transportieren, um nationale Unternehmen vor der Billigkonkurrenz zu schützen, fiel im Sommer 2015 die Kabotagesperre auch für das letzte Land Kroatien.

 

Etwas, was das Potenzial hätte, die Fahrer wieder näher zueinander zu bringen, wäre eine angeglichene Bezahlung. Anfang 2015 führte Deutschland als 22. Land in der EU einen Mindestlohn ein. Anfangs 8,50 Euro, mittlerweile 8,84 Euro die Stunde, es sollte Schluss sein mit Dumping-Löhnen. Auch bei ausländischen Lkw-Fahrern, denn solange die in Deutschland arbeiten, sollten sie nach deutschen Regeln bezahlt werden. Und dann könnte niemand mehr die Preise kaputtmachen. So dachte man sich das. Aber natürlich ist das nicht so leicht.

 

Schwierige Kontrollen

 

Die Sache mit der Kontrolle gestaltet sich bei einer so mobilen Branche schwierig. Die Speditionen müssen der deutschen Zollverwaltung eine Planung ihrer Fahrten in Deutschland schicken, die einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten umfasst. Viele Lkw-Fahrer erzählen aber, dass sie ihre Aufträge meist erst am Vortag per Kurznachricht bekommen. Eine langfristige Planung können viele Spediteure also gar nicht abgeben. Mit hoher Wahrscheinlichkeit entspricht daher die tatsächliche Arbeitszeit nicht der in der Planung veranschlagten. Änderungen muss der Spediteur aber nicht mitteilen, solange die Einsatzplanung „ordnungsgemäß“ ist.

 

Der Zoll befragt Lkw-Fahrer stichprobenhaft in Straßenkontrollen, ob sie den Mindestlohn erhalten. „Die Arbeitnehmer haben die Prüfung zu dulden und dabei aktiv mitzuwirken“, schreibt die Generalzolldirektion. Wie das gehen soll, wenn man keine gemeinsame Sprache findet? „Risikoorientiert“ entscheide der Zoll, ob er die Arbeitsunterlagen des Spediteurs einsehen will, die der dann ins Deutsche übersetzen lassen muss. Dann werde abgeglichen, ob die Angaben des Fahrers mit den Unterlagen seines Spediteurs übereinstimmen.

 

Eine Einschätzung, ob die Umsetzung des Mindestlohns für die ausländischen Fahrer erfolgreich sei, sei dem Zoll aber nicht möglich, teilt er mit. Darüber hinaus mischte sich noch die Europäische Kommission ein. Jedem Transportdienstleister den Mindestlohn zu zahlen, der deutschen Boden befahre, sei „eine unverhältnismäßige Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit und des freien Warenverkehrs“. Vor allem polnische und tschechische Speditionen hatten Angst um ihre Existenz, die Gewerkschaften hingegen unterstützen das deutsche Vorhaben.

 

Die EU-Kommission leitete im Mai 2015 ein Vertragsverletzungsverfahren ein und verschärfte es im Sommer 2016. Seitdem herrscht Uneinigkeit. Brüssel könnte vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. Berlin setzte den Mindestlohn daher vorsorglich für reine Transitfahrten wieder aus.

 

Gleiches Geld für alle?

 

Einer möglichen Klage könnte aber auch eine EU-Richtlinienänderung zuvorkommen. Die EU will die sogenannte Entsenderichtlinie verschärfen, maßgeblich vorangetrieben von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Das Ziel: gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Einem ausländischen Fahrer würde dann dasselbe Gehalt zustehen wie heimischen Fahrern. Oder? Ende Mai legte die EU-Kommission ihre Strategie „Europa in Bewegung“ vor, um die Mobilitätsbranche „sauberer, sozial gerechter und wettbewerbsfähig“ zu machen. Darin schränkt sie das Ganze wieder ein: Anspruch auf gleiche Bezahlung habe nur, wer Kabotagefahrten mache oder sich bei grenzüberschreitenden Transporten mindestens drei Tage pro Monat in einem Land aufhält. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi wirft der EU-Kommission daher vor, Sozialdumping Vorschub zu leisten. Die mittel- und osteuropäischen Länder hingegen mahnen, ihre Unternehmen könnten westliche Löhne nicht stemmen.

 

Uns scheint es, dass es nur sehr wenige positive Seiten an dem Leben eines Lkw-Fahrers gibt. Ein letzter Versuch auf der „Wolfsmeile“. Auf dem Trucker-Festival in der Nähe von Itzehoe treffen sich hunderte Trucker. Sie nehmen hier mit ihren Fahrzeugen an einer Art Schönheitswettbewerb teil. Sie haben sie mit Tribal-Aufklebern, Puschelvorhängen und Schildern hinter der Windschutzscheibe geschmückt. Wir begegnen einem jungen Fahrer mit einem Pokal. Er erklärt uns stolz, warum sein Lastwagen der beste war. Und dann begegnen wir Niko – Glatze, schwarzes T-Shirt, Khaki-Hosen – und er erklärt uns, dass das hier doch alles nur Fassade sei. „Dieses Lkw-Leben mit Freiheit, Friede, Freude, Eierkuchen, das gibt es nicht.“

 

Freundschaft gebe es auch hier bei dem Treffen eigentlich nicht, sagt Niko. Die Speditionen arbeiteten alle gegeneinander. Er erzählt von seinem Leben, das nur noch aus Fahren bestehe. Früher hatte er mal Hobbys, da hatte er Freunde, da feierte er Geburtstag, Weihnachten, Silvester. „Heute gehe ich durchs Leben und fahr und schlaf und fahr.“ Und das Fahren ist immer ein Kampf gegen die Zeit, um rechtzeitig die Ware abzuliefern. Früher manipulierten die Fahrer ihre Fahrtenschreiber, um ohne Pause weiterfahren zu können. Zwanzig-Stunden-Schichten waren keine Seltenheit.

Neue Lastwagen werden mit GPS-Trackern ausgestattet. Damit kann der Spediteur im Büro beobachten, wo seine Fahrer gerade sind, welche Route sie nehmen. „Wenn ich die Zündung drehe, springt in der Firma meine Lampe von rot auf grün“, erzählt. „Die Stasi war ein Scheißdreck dagegen.“ Und wenn die maximale Fahrtzeit erreicht ist, muss man elf Stunden Ruhezeit einlegen, auch wenn man nur noch eine Stunde von zu Hause entfernt ist. 

 

Freiheit ist da ein großes Wort, zu groß. Die Freiheit des einzelnen Lkw-Fahrers ist beim Kampf um die Freiheit des Marktes irgendwo auf der Straße zurückgeblieben.  

der Freitag 2017