Hautnah

 

Es beginnt im Stall und endet bei den Schuhen, der Tasche, dem Sofa. Leder soll nicht an die ursprüngliche Tierhaut erinnern. Innenansichten einer deutschen Industrie unter Globalisierungsdruck


Lebende Lebensmittel

 

Zwei Sommer haben DE 01 201 24742 und DE 01 205 04814 auf dem norddeutschen Marschland gesehen. Eine durchschnittliche Milchkuh sieht vier oder fünf, aber Ornika und Olika machen Probleme. Die erste hat keine Gebärmutter, die zweite braucht beim Melken doppelt so lange wie die anderen. Deswegen führt Bauerntochter Katharina Stahl sie jetzt auf den blauen Hänger. „Lass sie erst mal gucken“, murmelt Mutter Monika. Egal ist es ihr nicht, dass sie jetzt gehen müssen. „Die Tiere nehmen ja einen großen Teil unseres Lebens ein.“

 

Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, die Wangen der Frauen sind rosig von der Februarkälte. Um 7.20 Uhr sind die weißbraun gefleckten Kühe verladen, so wird es später in den „Informationen zur Lebensmittelsicherheit“ stehen. Sie sind jetzt Lebensmittel, die noch leben. Keine Viertelstunde später rollen sie auf den Innenhof der Schlachterei Fülscher. In einigen Wochen wird aus ihrer Haut Leder geworden sein.

 

Überlebenschancen

 

Hinter dicken Gitterstäben und türkis gekachelten Mauern warten schon andere. Ornika und Olika können sie von draußen muhen hören. Es klingt wie Brüllen. Da wollen sie nicht hin. Schlachtersohn Marc Fülscher schiebt von hinten. „So Mäuschen, komm.“ X-beinig stolpern sie von der Laderampe, recken die Köpfe. Die Nummern ihrer Ohrmarken werden abgeglichen, „Passkontrolle“ nennt man das hier scherzhaft. Die Waage zeigt 556 und 594 Kilogramm an, jetzt nur noch abbiegen und geradeaus laufen. Dahin, wo das Kreissägensummen herkommt und der Geruch von frischem Blut. Durch die geöffnete Tür kann man sie schon hängen sehen, die anderen, die vor ihnen hier durchgelaufen sind. Ornika ist die erste, sie dreht sich muhend zu Olika um. Dann geht die Tür der Betäubungsfalle hinter ihr zu. Wenig später hallt das Knallen des Bolzenschussgerätes von den Wänden wider, die Seitenwand erzittert vom Aufprall der betäubten Kuh, Marc Fülscher nickt kaum merklich.

 

Der 26-Jährige wird den Betrieb seines Vaters einmal übernehmen. Es ist ein schweres Erbe. Morgens um fünf geht der Arbeitstag los und endet spät abends, sieben Tage die Woche. Vater Jan-Peter hat müde Augen mit dunklen Ringen darunter. 850 Schweine und 90 Rinder schlachtet sein Betrieb in der Woche, bei den Branchengrößten wie Tönnies, dessen Geschäftsführer den hoch verschuldeten Fußballclub Schalke 04 konsolidieren will, muss man ein paar Nullen anhängen. Die Großen machen kleine Familienunternehmen wie seines kaputt, sie diktieren mit ihren billigen Werkverträgen die Preise. Erst gestern überraschte die Polizei einen großen Schlachthof des niederländischen Lebensmittelkonzerns Vion eine Dreiviertelstunde nördlich von hier mit einer Großrazzia. Verdacht auf Hygienemängel und Tierquälerei. „Erst verursacht die Politik solche Missstände, und dann prangert sie sie an“, schnaubt Fülscher senior bei der Frühstückspause mit Wurstbrot. „Deutschland ist Fleischexporteur. Das ist doch krank“, regt er sich auf. „Wir importieren Arbeiter und Tiere, die Emissionen bleiben hier und das Fleisch wird exportiert.“ Seine Tiere kommen alle von Höfen aus der Umgebung, das Fleisch verkauft er in örtlichen Metzgereien. „Wir wollen nur eine Überlebenschance haben, mehr nicht.“

 

Andere haben sie nicht. Als die Seitenklappe der Betäubungsbox aufgeht, fällt Ornika heraus, alle Viere von sich gestreckt. Am rechten Hinterbein wird sie nach oben gezogen, sie strampelt. „Das sind die Nerven“, betont Fülscher junior immer wieder, nur die Nerven. Keiner soll denken, sie würde das, was jetzt passiert, noch mitbekommen. Routiniert schneidet ein Schlachtarbeiter der hängenden Kuh die Kehle auf, das Blut platscht auf den Boden.

 

Männer auf metallenen Podesten und Hebebühnen sägen ihr die Extremitäten ab, fixieren Ketten an der Haut und ziehen sie von unten nach oben ab. Ihr dampfender Körper wird im Anschluss halbiert und ausgenommen. Ihre Muskeln zucken noch. Aus ihnen werden später Filets, Steaks und Entrecôtes. Ornikas und Olikas Felle werden ab jetzt die Nummern 37447 und 37448 tragen.

 

Asiatische Großmacht

 

Die Felle sind jetzt eine Rohware, die schnell verdirbt. Noch am selben Tag werden sie eine halbe Stunde Richtung Norden gefahren, zum Häutehändler Friedrich & Sturm. Der schätzt die gute Arbeit von Fülschers gelernten Kräften. „Die Schlachtkolonnen in den großen Schlachtereien sind manchmal wenig sensibel, wenn es um den Hautabzug geht“, sagt Andreas Meyer. „Wenn die eine Kolonne austauschen, dann haben wir hier nicht selten Streifenvorhänge“ – zerschnittene Häute also. Der Prokurist mit einem Händedruck, der die Gelenke knacken lässt, führt mit seinem hochgewachsenen Kollegen John Rainer Semmelhaak durch die zugige Halle, in der die Felle ankommen. Es riecht muffig, auf dem Boden vermischen sich Salz, Blut und Wasser, eine Taube flattert unters Dach. An groben Haken werden die Häute auf Metallschienen gefädelt. Genau wie im Schlachthof, bloß dass hier nur noch die Hüllen hängen. Von ihnen schneiden Arbeiter mit orangefarbenen Schürzen und langen Messern Überflüssiges ab. Der Gerber wird später sagen, nicht genug. Der Händler wird für das Gewicht der Haut bezahlt, genau wie der Schlachter. Der Gerber hingegen für die Fläche, deswegen wird er die Haut am Ende noch ein Stück dehnen.

 

Weil Ornika und Olika weibliche Rinder waren, ist ihre Haut zu minderwertig für deutsche Weiterverarbeiter. Sie wird nach Asien verschifft, wie 70 Prozent der restlichen Häute auch. Der Großteil geht nach China, der Rest nach Thailand, Vietnam, Pakistan. Dort werden sie zu Schuh- oder Möbelleder verarbeitet. Damit sie die lange Reise überstehen, legen die Arbeiter sie in Salz ein. Mit einem hydraulischen Zischen ziehen sie Haut für Haut von den Stangen, mit Handkellen streuen sie Steinsalz auf die Häute, bis keine fleischrote Farbe mehr zu sehen ist. Salz, Wasser und Blut greifen die Maschinen an und lassen die Gestänge rosten. Modernste Gabelstapler würden hier mit ihren empfindlichen Platinen nicht lange durchhalten. „Schön wird’s hier nie“, sagt John Rainer Semmelhaak, Gesellschafter und zuständig für den Verkauf.

 

In den Fünfzigerjahren war die deutsche Lederindustrie groß, schwärmt er. Noch in den Achtzigern rühmten Friedrich&Sturm sich mit dem ersten Kühlhaus für Tierhäute. Dadurch musste man sie für kurze Transportwege innerhalb Europas nicht mehr salzen. Doch dann wanderten die Weiterverarbeiter nach Asien ab, der niedrigen Lohnkosten wegen. Die Häute reisen ihnen jetzt hinterher, um als fertiges Produkt wieder zurückzukommen. Semmelhaak kennt die zum Teil haarsträubenden Bedingungen, unter denen in asiatischen Betrieben gegerbt wird, er hat sie selbst gesehen. „Die Chinesen sind im Umgang mit ihren eigenen Leuten oft sehr hart“, sagt er, zurück in seinem Büro mit braunen Cordsesseln, Eichenmöbeln und einem Mauspad in Form einer Kuhhaut. Aber würde er nicht nach China verkaufen, würde es seinen Betrieb nicht mehr geben. Das Namensschild auf seinem Schreibtisch ist mit chinesischen Schnitzereien verziert.

 

Hießen Ornika und Olika Otto und Ole, hätten ihre Felle nicht nach Asien verschifft werden müssen. Die Haut von Bullen ist dicker und hochwertiger als die von Kühen und genügt deswegen den Qualitätsansprüchen der deutschen Industrie. Sie wird von Gerbereien wie dem Betrieb Heller bei Hannover weiterverarbeitet, drei Stunden südlich von hier.

 

Deutsche Nachhaltigkeit

 

Schon bei der Auffahrt auf den Hof schlägt dem Besucher ein übler Geruch entgegen. Die beiden Geschäftsführer Thomas Strebost und Frank Fiedler machen keinen Hehl daraus: Blitzblank und duftend ist hier gar nichts. Auf dem Hinterhof suppt eine milchige Flüssigkeit aus einem Container, matschige Reste hier und da, der Fabrikboden ist nass. Erlauben kann Heller sich das, weil die ganze Fabrik auf einer Betonwanne steht, von der aus alles in die werkseigene Kläranlage abgeleitet wird. Auf die sind sie hier besonders stolz, sie brachte der Gerberei den Goldstatus der Leather Working Group ein, einer ursprünglich von Nike und Timberland gegründeten Interessengemeinschaft zur Verringerung der starken Umweltbelastung durch die Lederindustrie. Letztes Jahr gewann das Unternehmen den Deutschen Nachhaltigkeitspreis „Blauer Engel“, weil es auf gesundheitsgefährdende Stoffe verzichtet und seinen Wasserverbrauch strengen Auflagen unterwirft. „Wir sind teurer. Aber wir müssen auch teurer sein, um besser zu sein“, hatte Thomas Strebost in seiner Dankesrede gesagt.

 

Die Rinderhaut muss hier eine Reihe von Prozessen durchlaufen. In riesigen sich drehenden Holzfässern wird der natürliche Feuchtigkeitsgehalt der Haut wiederhergestellt, und sie wird von Dung und Blut gesäubert. Im nächsten Fass entfernen Kalk und Schwefelverbindungen die Haare. Sie fallen nass und stinkend aus einem Filter darunter. Früher konnte sich der Bauer diese Haare kostenlos abholen und als Dünger benutzen, erzählt Thomas Strebost. Jetzt müsse Heller einen Düngemittelhersteller für die Abnahme bezahlen, und der Bauer wiederum für den Dünger. Es ist nicht die einzige Verordnung, deren Nutzen er nicht so recht erkennen mag.

 

Nach dem Fell wird das Fleisch entfernt. Die Haut heißt jetzt Blöße und wird von zwei Arbeitern mit gelben Schutzhelmen von einem Haken gefischt. „Wir sagen immer spaßeshalber: Da hängen noch ein paar Steaks dran“, sagt Strebost. Was auf dem Laufband tatsächlich runtergeschnitten wird – Fleisch- und Fettreste – heißt dann Leimleder und ließe sich, neben der Herstellung von Leim, perfekt in der werkseigenen Biogasanlage verwerten. Laut Verordnung soll da aber Mais rein, der sich hinter der Fabrik türmt. Das Leimleder muss Heller an eine andere Biogasanlage liefern.

 

Männer mit großen Messern und weißen Plastikschürzen schneiden die Überschüsse ab, bei denen ihnen der Häutehändler zu großzügig war: Knie, Geschlechtsteile, Zitzen. Am Ende des Laufbands wird die Blöße in zwei Schichten gespalten. Aus dem unteren Teil wird unter anderem Gelatine und das raue Veloursleder. Der obere Narbenspalt eignet sich für hochwertigere Leder. Die Haut wird nun von den zurückgebliebenen Chemikalien gereinigt und gebeizt.

 

Giftiges Stigma

 

Dann erst folgt der umstrittenste Produktionsschritt, das Gerben. 85 Prozent aller Häute weltweit werden mit Chrom gegerbt, das bei falscher Herstellung oder Anwendung giftig werden kann. Auch Heller verwendet größtenteils Chrom, ihre Bezugsquelle und Verarbeitung seien sicher, sagt Frank Fiedler. Das Problem sei eher, dass Chrom mehr und mehr stigmatisiert werde. Einen kleineren Teil gerbt Heller mit pflanzlichen Stoffen, das Prestigeprojekt „Blattwerk“ macht gerade einmal drei Prozent der Produktion aus. Hinter dem poetisch anmutenden Namen verbirgt sich ein von der Biotechnologiefirma NZyme entwickeltes Gerbverfahren auf der Basis von Olivenblättern. Der Gerbstoff ist mit dem Goldstatus von Cradle to Cradle zertifiziert – eine Auszeichnung für besonders umweltfreundliche Produkte. Das hat seinen Preis: Blattwerk-Leder kosten 10 bis 15 Euro pro Quadratmeter mehr als mit Chrom gegerbte Leder. Verarbeitet wird es etwa von dem Möbelbauer Brühl oder dem Autohersteller BMW, der das Olivenblattleder in seinem neuen Elektroauto i3 verwendet.

 

Nach dem Gerben nennt sich das Produkt zwar Leder, ist aber immer noch nicht fertig. Es muss noch entwässert, gefalzt, nachgegerbt, gefärbt, getrocknet und zugerichtet werden. Dabei wird der Charakter des Leders wie Oberflächenstruktur und Weichheit festgelegt. Dann erst schickt Heller die Leder an seine Automobilkunden in Ungarn, Tschechien und der Slowakei sowie an Möbelhersteller in Deutschland, Zentraleuropa, den USA und China.

 

Erst im Laufe der Verarbeitung gibt die Haut preis, was für ein Leben das Tier geführt hat, dem sie gehörte. Ob es mit Stacheldraht eingezäunt war, der Narben hinterlassen hat. Ob es Parasiten, Streit mit einem gehörnten Artgenossen oder Sonnenbrand hatte. All diese Macken muss die Gerberei verschwinden lassen, denn niemand möchte gern an das Leben des Tiers erinnert werden, auf dessen Haut er im Sessel sitzt. An DE 01 201 24742 und DE 01 205 04814, aus deren Häuten in Asien Schuhe oder Taschen wurden.

 

 

//Kühe

Weltweit wird das meiste Leder aus den Häuten von Rindern hergestellt, und die kommen zu einem Großteil aus Indien. 2012 schwang sich das Land der heiligen Kuh zum Rindfleischexporteur Nummer eins auf. Wie göttliche Tiere werden sie aber nicht behandelt. Weil das Schlachten von Rindern nur in zwei Bundesstaaten erlaubt ist, werden die Tiere illegal in Hinterhöfen geschlachtet oder müssen weite Strecken zurücklegen. Die Tierschutzorganisation Animals’ Angels berichtet von gefesselten, zusammengepferchten und misshandelten Tieren, denen im Schlachthof sogar die Kraft zum Aufstehen fehlt.

 

//Werkverträge

Viel Arbeit für wenig Geld. eigentlich sollen Unternehmen mit Werkverträgen einen kurzfristigen Mehraufwand abfedern, indem sie ein „Werk“, zum Beispiel das zersägen von Schweinen, an Subunternehmen abgeben. In der Schlachtindustrie ist das aber zum Dauerzustand geworden: Sie beauftragt Fremdfirmen, die billige Arbeitskräfte aus Rumänien oder Bulgarien zu Hungerlöhnen arbeiten lassen – bezahlt nach Leistung. Die Arbeiter haben keine Tarifverträge oder Betriebsräte. Die Werkverträge sparen nicht nur Personalkosten, sie helfen den Schlachtkonzernen sogar dabei, von der Ökostromumlage befreit zu werden. Denn anders als den Lohn für angestellte Schlachtarbeiter können sie die Kosten der Werkverträge von ihrer Bruttowertschöpfung abziehen. Übersteigen die Stromkosten die Bruttowertschöpfung um 14 Prozent, muss das Unternehmen keine EEG-Umlage zahlen – wie in diesem Jahr 92 Schlacht- und Fleischverarbeitungsbetriebe.

 

//Asien

Der Ferne Osten ist bekannt für seine niedrigen Lohnkosten und geringen Umweltauflagen. Kontinuierlich verlagert sich die Weiterverarbeitung von Häuten nach Asien, allein in China hat sich die Produktion von schwerem Rindsleder seit Mitte der 90er-Jahre verdreifacht – auf gut 37 Prozent der Welterzeugung. An leichtem Rindsleder, etwa für Bekleidung und Polster, hielt die Volksrepublik 2011 mit knapp 215 Quadratkilometern Leder einen Anteil von gut 16 Prozent. Das geht zu Lasten von Umwelt und Bevölkerung: Die chinesische Nichtregierungsorganisation ipe identifizierte die Gerbereien als eine der schmutzigsten Leichtindustrien ihres Landes. Chemiecocktails versickern oft ungeklärt auf Äckern, Arbeiter sind den Gerbmitteln schutzlos ausgesetzt, Abgase verpesten Ortschaften. Die chinesische Regierung griff nun hart durch und schloss mehrere Gerbereien in der Provinz Hebei. Laut dem britischen Informationsdienst Leatherbiz könnten 45 Prozent der rund 3000 chinesischen Gerbereien neue Abwasser- und Luftvorschriften nicht erfüllen. Deswegen wandert die Industrie erneut ab. Aus Indien, Bangladesch, Pakistan, Vietnam, Sri Lanka und Nepal berichten Organisationen wie peta und Human Rights Watch immer wieder von verseuchten Flüssen, durch die Gerbereiabwässer ausgelöste Krankheiten und haarsträubende Arbeitszustände.

 

//Deutsche Industrie

2.087.589 rohe Häute und Felle verarbeitete die deutsche Lederindustrie 2012 zu rund acht Quadratkilometern Leder, das entspricht gut 1120 Fußballfeldern. Damit ist sie nach eigenen Angaben hinter Spanien und Italien der drittgrößte Lederproduzent Europas.

 

//Chrom

Indem der Gerbstoff die Eiweißfasern der Haut miteinander vernetzt, wird sie unverderblich und dauerhaft elastisch. Weltweit erfüllt hauptsächlich das aus Chromerz hergestellte Chrom(III)- Salz diese Aufgabe. Es kann kaum in die menschliche Haut eindringen, gefährlicher ist Chrom(VI). Dieses kann bei Hautkontakt allergische Reaktionen auslösen und durch Einatmen Krebs verursachen. Außerdem kann es laut Bundesinstitut für Risikobewertung als Staub oder Dampf schwer behandelbare Geschwüre auslösen. Das giftige Chrom(VI) kommt als Verunreinigung in billig produzierten Gerbstoffen vor, entsteht bei falsch durchgeführten Gerbprozessen und kann sogar im fertigen Produkt etwa durch Fußschweiß hervorgerufen werden.

In Billiglohnländern macht Chrom(VI) die Gerbereiarbeiter krank, die oft barfüßig in dem Gerbstoff waten. Im Endprodukt gefährdet er die Gesundheit des Verbrauchers: Obwohl Chrom(VI) seit Sommer 2010 laut Bedarfsgegenständeverordnung verboten ist, findet es sich in vielen Lederprodukten. So fand das Bundesamt für Verbraucherschutz Ende 2010 in 226 von 504 untersuchten Lederprodukten wie Schuhen und Handschuhen Chrom(VI). Andere giftige Stoffe wie Nonylphenolethoxylate und Per- und Polyfluorierte (PFC) Chemikalien wies Greenpeace Anfang diesen Jahres sogar in Luxuskinderschuhen nach.

 

//Pflanzliche Stoffe

Alternativen zum umstrittenen Chrom sind pflanzliche Stoffe wie Eichenrinde, Kastanienholz, Rhabarber oder Olivenblätter. Sie machen sich gut im Marketing. Was dabei aber verschwiegen wird: Pflanzliche Gerbstoffe verbrauchen erheblich mehr Wasser und machen das Leder nicht so weich wie Chrom. Zudem sind sie nicht genügend verfügbar: Wollte man jede Haut etwa mit Rhabarber gerben, benötigte man riesige Monokulturen, die der Lebensmittelproduktion Konkurrenz machen würden. Viele Hersteller werben mit exotischen Gerbstoffen aus Mimosa oder Quebracho. Die Bestände der in Südamerika und Afrika wachsenden Bäume sind laut der Tierschutzorganisation Peta durch die steigende Nachfrage bereits gefährdet.

greenpeace magazin 2014

FOTOS Samuel Zuder