Die Rettung der Farben

 

Der Klimawandel tötet Korallenriffe viel schneller als gedacht. Zu Besuch bei einem, der nach Lösungen sucht, um ihr Sterben zu stoppen


3016 ist die Zahl, die unser ganzes Unverständnis beziffert. 3016 ist die Nummer der RAL-Farbe „Korallenrot“, einem Ton zwischen Rot, Orange und Braun. Etwas korallenrot zu nennen, macht genauso wenig Sinn, wie etwas blumenblau zu nennen. Denn sowohl Korallen als auch Blumen gibt es in mehr Farben, als wir Wörter dafür hätten. Und so geht es hier nicht um die Rettung einer Farbe, es geht um die Rettung aller Farben.

 

Ein gesundes Riff ist eine Reizüberflutung: Schwärme daumengroßer Grüner Schwalbenschwänzchen schweben über Wäldern aus orangefarbenen Geweihkorallen, taucht Gefahr auf, etwa ein weiß-rot karierter Langschnauzen-Büschelbarsch, sinken sie blitzschnell zwischen die schützenden Korallenäste ab, die bei näherer Betrachtung an den Spitzen fliederfarben gefärbt sind. Dort verstecken sich auch kleine Schwarz-weiß gestreifte Vierbinden-Preussenfische, am Fuße der Kleinpolypigen Steinkorallen ein paar Meter weiter hegt ein brauner Farmerfisch seinen Algengarten, an einem Korallenast knabbert verstohlen ein magenta-türkis schimmernder, großmäuliger Papageienfisch. Einige unterarmlange gelbe Trompetenfische ziehen vorüber, ein kastiger Kofferfisch taumelt an einer pilzförmigen Fungia-Koralle vorbei, dahinter erhebt sich eine grün schimmernde Korallenformation groß wie ein Auto.Willkommen im Regenwald der Meere.

 

Dieser Unterwasserwald ist nicht nur nett anzusehen. Wie ein Regenwald an Land ist er ein fein aufeinander eingespieltes System aus Symbiosen, Abhängigkeiten und Nahrungsketten. Obwohl Korallenriffe weniger als 0,1 Prozent des weltweiten Meeresbodens bedecken, hängen von ihnen laut dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen rund ein Viertel der marinen Biodiversität und und etwa eine Milliarde Menschen ab. Anders gesagt: Es wäre eine Katastrophe, sie zu verlieren.

 

Weil das wegen der globalen Erwärmung immer wahrscheinlicher wird, waten Austin Bowden-Kerby, Manoa Duwai und Kevueli Malaka an einem Dienstagmorgen in das Riff vor der Südküste Viti Levus, der Hauptinsel des mehr als 300 Inseln umfassenden Inselstaates Fidschi im Südpazifik. Der 69-jährige Bowden-Kerby ist Korallenforscher und Gründer der Nichtregierungsorganisation Corals for Conservation, er ist Amerikaner, lebt aber in Fidschi, seit er wie seine fidschianischen Freunde sagen, „jung und schön war, mit langen Haaren wie Jesus“. Nun ähnelt er eher dem Weihnachtsmann.

 

Seine Begleitungen, Duwai, 42, und Malaka, 26, leben ihr ganzes Leben lang genau hier, in Naidiri, einem typischen fidschianischen Küstendorf, in dem die rund hundert Menschen hauptsächlich vom Fischfang und Gemüseanbau leben. Einige wenige arbeiten in den umliegenden Luxusresorts, in denen ein Cocktail so viel kostet wie das wöchentliche Haushaltsgeld einer Familie hier im Dorf. Das fein aufeinander eingespielte System aus Symbiosen, Abhängigkeiten und Nahrungsketten des Unterwasserwaldes, es reicht direkt in ihre Häuser. Verschwinden die Korallen, können die kleinen Fische nicht mehr in ihnen wohnen, dann können die großen Fische die nicht mehr fressen und dann können die Menschen diese wiederum nicht mehr fangen.

 

Die Männer stehen nun knietief im Wasser und machen etwas, das erst einmal widersinnig scheint: Mit Hammer und Meißel brechen sie Korallenäste ab. Die Bruchstücke bringen sie zum Strand und befestigen sie dort mit Kabelbindern auf einem A-förmig gebogenen Metallgestell. Einige Kinder aus dem Dorf sind gekommen, um zu helfen. Immer wieder benetzen sie die Äste mit Wasser, wie gestrandete Wale, denn genau wie gestrandete Wale sind sie noch am Leben. Und genau wie Wale sind sie Tiere.

 

Korallen sind eine absolut einzigartige Lebensform. Es ist, als hätte sich die Natur nicht entscheiden können, ob sie ein Tier, eine Pflanze oder einen Stein kreieren wollte, also kreierte sie alles in einem. Wenn wir von Korallen sprechen, meinen wir meist Steinkorallen, also solche, die Kalkskelette bilden, es gibt auch Weichkorallen, die das nicht tun. Sie zählen zusammen mit Quallen zum Stamm der Nesseltiere, eine Koralle ist aber nicht ein Tier, sondern eine Kolonie aus tausenden Tieren, die Polypen heißen. „Diese vielen kleinen Polypen leben auf einem Skelett und arbeiten zusammen wie eine Stadt“, erklärt Austin Bowden-Kerby, der Korallenforscher. In diese Stadt laden sie sich noch ein paar Freunde ein, Zooxanthelle genannte Mikroalgen, welche die Korallen per Photosynthese mit Nährstoffen versorgen und ihnen ihre Farben verleihen, im Gegenzug bekommen sie Schutz vor gefräßigen Fischen. Fortpflanzen tun Korallen sich, indem sie reguliert vom Mondlicht einmal im Jahr gleichzeitig Samen und Eizellen ausstoßen.

 

Mit den Nährstoffen der Mikroalgen können sie ihre Kalkskelette bauen, und zusammen bauten sie so im Laufe der Jahrtausende ganze Riffe – die größten von Lebewesen geschaffenen Strukturen der Erde. Das machen sie vor Küsten wie hier in Fidschi, dann heißt es Saumriff; wenn die Insel darin im Meer versinkt, wird daraus ein Atoll, wie etwa bei den Malediven; sie können sich aber auch im offenen Meer bilden, dann heißen sie Plattform- oder Barriereriff – das bekannteste und größte dieser Art ist das gut 348.000 Quadratkilometer große Great Barrier Reef entlang der australischen Nordküste.

 

Man „begann zu vermuten, dass nicht allein die Erde das Tier hervorbringt, sondern dass auch das Tier die Erde erzeugt“, schrieb der französische Biologe Jean-Baptiste de ­Lamarck Ende des 18. Jahrhunderts. Er nannte die Korallen „Weltenmacher“.

 

Ein anderer Name für sie wäre Wellenbrecher. Meta-Analysen ergaben, dass Korallen die Wellenenergie um durchschnittlich 97 Prozent reduzieren. Am Strand von Naidiri kommen die Wellen nicht an, sie brechen draußen an der Riffkante. Das Riff schützt die Menschen hier so zuverlässig vor der Gewalt des Ozeans, dass sie ihre Häuser direkt hinter den Strand gebaut haben. Der steigende Meeresspiegel wird sie zwingen, umzusiedeln. Seit 2012 mussten die ersten Küstendörfer Fidschis bereits in höhere Regionen fliehen, mehr als vierzig werden laut Regierungsplänen in den nächsten zehn Jahren folgen müssen.

 

Am Strand von Naidiri sondern die Korallen in den Händen der Männer und Kinder nun einen durchsichtigen Schleim ab, der sie gegen die Luft schützt. Als die Gruppe das ganze Drahtgestell mit diesen schleimigen Korallenstücken besetzt hat, tragen die Männer es ins Wasser und verankern es im Boden. Sie haben soeben ein neues kleines Riff gebaut, die Menschen haben den Korallen beim „weltenmachen“ geholfen.

 

Die Küste hier im Süden der Hauptinsel wird auch Korallenküste genannt, aber die Menschen die an ihr wohnen wissen nur zu gut, wie schnell dieser Name bedeutungslos werden kann, denn sie haben die Korallen schon sterben sehen. Dass sie nun in den Gewässern Naidiris wieder wachsen ist hauptsächlich Manoa Buwai zu verdanken. Denn er baut hier schon seit 16 Jahren künstliche Riffe. „Ich kam damals vom Rugby spielen nach Hause, zum Abendessen gab es nur Reis und Tee. Ich fragte einen Freund, und dort gab es dasselbe: Reis und Tee“, erzählt er. Mit Taschenlampen gingen sie auf Fischfang im Riff vor der Haustür. „Und was uns wirklich beunruhigte, war die Größe der Fische, die wir in dieser Nacht fingen.“ Sie waren winzig – die Menschen hatten das Riff leer gefischt und die Korallen abgeerntet und verkauft.

 

Manoa Buwai erinnerte sich an eine alte Tradition, die Errichtung von Tabu-Zonen, in denen nicht gefischt werden durfte. Er überzeugte den Dorfvorsteher und begann in der mit roten Bojen markierten Zone Korallen zu pflanzen. Als die Korallen zu wachsen begannen, kehrten auch die Fische zurück auf das Riff. Die Menschen verstanden: Die Fische brauchen die Korallen, und die Korallen brauchen die Fische. Die damals eingerichtete Zone blieb bis heute bestehen, mittlerweile leben so viele Fische darin, dass sich die Menschen Naidiris von jenem Überfluss ernähren können, der an den Rändern der Schutzzone „überquillt“.

 

Diese Erfolgsgeschichte könnte hier enden, wenn es nicht immer heißer würde. Zu heiß. Und deswegen ist Austin Bowden-Kerby hier: Er will den Korallen, den Fischen und den Menschen eine Chance geben, die globale Erwärmung zu überleben. Er steht niemals still, er hört niemals auf zu reden, auch mit seinen 69 Jahren denkt er noch lange nicht daran, sich zur Ruhe zu setzen. Das wäre für einen Korallenforscher auch die falsche Zeit, denn ob es Korallen in Zukunft noch geben wird, entscheidet sich jetzt. Erwärmt sich die Erdatmosphäre um 1,5 Grad Celsius, sterben 70 bis 90 Prozent der weltweiten Korallenriffe, prognostizierte der Weltklimarat 2018, bei einer Erwärmung um zwei Grad sterben mehr als 99 Prozent. Schon jetzt ist die Hälfte der Korallenriffe, die es noch in den Fünfzigerjahren gab, tot. Und die Prognosen werden noch düsterer: Eine letztes Jahr veröffentlichte Studie kam zu dem Schluss, dass schon bei einer Erwärmung von 1,5 Grad 99,8 Prozent aller Korallenriffe so häufig von Hitzewellen getroffen werden, dass sie sich dazwischen nicht mehr erholen können.

 

Bowden-Kerby beginnt jeden Tag damit, sich die globale Durchschnittstemperatur der Meeresoberfläche anzuschauen. „Ich dachte, wir hätten zwanzig Jahre Zeit, aber die haben wir nicht“, sagt der Forscher. „Ich habe Angst, weil etwas passiert, was ich nicht erwartet habe, was niemand erwartet hat. Plötzlich ist es so, als ob der Thermostat der Erde kaputt gegangen ist.“ Die mehr als 21 Grad Durchschnittstemperatur der weltweiten Meeresoberfläche dieses Jahr brechen alle Rekorde. In der Hitzewelle vor der Küste Floridas Anfang des Jahres, in der sich das Wasser auf unglaubliche 38 Grad erhitzte, starben so gut wie alle Korallen. Die Forschenden, die dort seit Jahren die Riffe ähnlich wie Manoa Buwai restaurieren, brachen bei deren Anblick in Tränen aus. Auch die Riffe von Fidschi wurden von solchen Massensterben schon getroffen, erzählt Bowden-Kerby: „Im Jahr 2000 kam es zum ersten Mal in der Geschichte Fidschis zu einer schrecklichen Massenbleiche, die achtzig Prozent der Korallen in der gesamten südlichen Hälfte der Fidschi-Inseln abtötete.“

 

Er sagt „bleichen“, weil Korallen, wenn sie sterben, weiß werden. „Wenn es zu heiß wird, produzieren die Mikroalgen in den Korallen keinen Zucker mehr, sondern Wasserstoffperoxid, das ist giftig und verbrennt die Korallen“, erklärt Bowden-Kerby. Die Korallen stoßen die Algen deswegen aus Selbstschutz ab, und damit auch ihre Farben. Sie können dann noch einige Wochen von ihren Fettreserven zehren und vorbei treibendes Plankton essen, sind aber extrem geschwächt. Wenn sie nun noch wenig Fische um sich haben und von Abwässern aus der Industrie oder Pestiziden aus der Landwirtschaft umspült werden, haben sie kaum eine Chance. Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch: Schützt man sie vor solchen negativen Einflüssen, dann haben sie eine Chance. Eine diesen Sommer im Fachmagazin Nature veröffentlichte Studie kam zu dem Schluss, dass Riffe mit mehr pflanzenfressenden Fischen und weniger Abwasserverschmutzung aus Städten oder Landwirtschaft seltener nach einer Hitzewelle starben.

 

Austin Bowden-Kerby weiß das. Bereits in den Neunzigerjahren hatte er mehrere Dorfgemeinschaften dabei unterstützt, Tabu-Zonen in ihren Qoliqoli zu errichten, so heißen auf Fidschi die Gewässer, über die die Dörfer verfügen können. Weil das so gut funktionierte, taten es ihnen rund 250 Dorfgemeinschaften gleich und schützten so mehr als ein Viertel der Küsten Fidschis. Dieses Netzwerk von Schutzgebieten wurde 2002 mit dem Equator Initiative Prize der Vereinten Nationen ausgezeichnet. „Es war eine der besten Sachen, an der ich je mitgewirkt habe.“, sagt Bowden-Kerby. Mittlerweile existiert aber nur noch ein Bruchteil der Tabu-Zonen, denn als sich die Fischbestände erholt hatten, wollten die Menschen sie wieder fangen. Der Korallenforscher begann deswegen das Happy Chicken Project: Er züchtet Hühner und schenkt sie Dörfern, die „Tabus“ errichten, als Alternative zum Fisch. Außerdem organisiert er Permakultur-Workshops, um schädliche Abwässer ins Meer zu reduzieren.

 

Nun aber bricht eine neue Zeit an: „Die Zeit der Restaurierung von Korallenriffen ist vorbei. Wir pflanzen ja auch keine Bäume, wenn ein Feuersturm naht." Seine neue Taktik ist: Umsiedeln.

Es ist 7:30 Uhr morgens, als er sich mit seinem Team auf der kleinen Insel Malolo Lailai rund zwanzig Kilometer westlich der Hauptinsel Fidschis trifft. Es ist eine Urlaubsinsel mit Hängematten am Strand, Hüpfburgen im Wasser, Restaurants mit All-You-Can-Eat-Buffets und Animationsprogramm. Jede Woche bringen sie hier Touristenkindern in Workshops das Wort Polyp – „Poh-lüüüp“ – bei und bauen mit ihnen steinerne Fischhäuser, die sie später ins Meer bringen. Das Büro von Corals for Conservation haben sie in einem der Bungalows eines Familienresorts improvisiert, von hier tragen sie Flossen, Tauchermasken, Plastikwannen und Werkzeug zu einem kleinen Motorboot. Am Strand posiert ein Paar vor einem Fotorahmen, es ist eine schwer auszuhaltende Parallelität zwischen Menschen, die vom Selfie bis zum ersten Cocktail denken, und Menschen, die verzweifelt ein Massensterben aufzuhalten versuchen. Ratternd startet Bootsführer Jim Nakaruru den Motor, die Meeresbiologin Annelise McDougall, der Praktikant Inia Tagi und Austin Bowden-Kerby blinzeln in die Morgensonne, als er das Boot aus der Bucht lenkt. Ihr Ziel ist das Paradies.

 

Halt an einem Ort, den sie „Blaues Loch“ nennen. „Das Wasser hier wird häufig sehr warm, die Korallen sind also an höhere Temperaturen angepasst“, erklärt Annelise McDougall. „Superkorallen“ werden solche Korallen in der Forschungsgemeinschaft genannt, weil sie gewissermaßen Superkräfte haben – die Superkraft, nicht zu sterben. Aber jede Kraft ist endlich, so auch diese. 38 Grad, wie dieses Jahr in Florida, hält keine Koralle aus. „So wie sich die Dinge entwickeln, wird dieses Riff in drei bis fünf Jahren tot sein“, sagt Bowden-Kerby. Der Korallenforscher, die Meeresbiologin und der Praktikant springen deswegen nun mit Hammer und Meißel über Bord. Unter Wasser ist es nur auf den ersten Eindruck still, bei genauerem Hinhören knistert, knackt und rauscht es – die Geräusche von Krabben und Fischen, die zwischen den Korallen leben. Ein britisches Forschungsteam spielte solche Geräusche an toten Riffen ab, und konnte so Fische anlocken, die sich dort niederließen und das Riff wiederbelebten.

 

Durch das Knistern, Knacken und Rauschen dringt nun metallisches Hämmern: Korallenernte. Einen Plastikkorb voller Korallen nach dem anderen reichen sie Jim Nakaruru aufs Boot, der sie dort in mehrere Wannen sortiert und unablässig mit Wasser besprüht. Sie wählen größere Exemplare, weil die schon über mehrere Jahre an Temperaturunterschiede angepasst sind. Als der komplette Boden des Bootes mit Korallen übersäht ist, steuert Nakaruru das Boot Richtung Paradies, so haben sie den Korallengarten genannt, in dem sie Superkorallen züchten. Bowden-Kerby hat sich auf einer der Sitzbänke ausgestreckt und stimmt ein Lied auf Fidschi an, Bootsführer Nakaruru stimmt lächelnd mit ein. „We are pearls of one ocean, we are waves of one sea. Come and join us as we work for unity in the big deep blue sea“, übersetzt Bowden-Kerby ins Englische.

 

Im neuen Paradies angekommen laden sie die Korallen aus und tauchen mit ihnen zum wenige Meter tiefen Meeresboden hinab. Auf 32 tischförmigen Metallrahmen züchten sie hier Korallen in allen Formen und Farben, zwischen manchen hängen Seile, an die sie kleinere Stücke geknotet haben. Korallen wachsen in jeder Größe, der amerikanische Forscher David Vaughan hatte vor fünf Jahren zufällig herausgefunden, dass einige Arten in sehr kleine Stücke zerbrochen sogar besonders schnell wachsen – er hatte eine Geweihkoralle in seinem Aquarium versehentlich zerbrochen.

 

Der Paradiesgarten ist voller Leben, Fischschwärme verstecken sich zwischen den Korallenästen, Stachelrochen ziehen am Boden vorbei und am wichtigsten: Die Farmerfische reinigen die Korallen von Algen und verteidigen sie gegen Dornenkronenseesterne – unangenehme stachelige Wesen, die sich von Steinkorallen ernähren und ganze Riffe töten können. Regelmäßig muss aber auch das Team die Seesterne sammeln und töten – sie vermehren sich dank den Nährstoffen aus Abwässern zu stark und könnten den gesamten Paradiesgarten vernichten, würde das Team nicht eingreifen.

 

Auf der ganzen Welt versuchen Forschende in einem Wettlauf gegen die Zeit die Korallen vorm Aussterben zu bewahren – auf der Webseite des Frühwarnsystems Coral Reef Watch sind große Gebiete der Weltkarte in die dunkelrote Farbe der höchsten Bleiche-Warnstufe gefärbt. Das größte Vorhaben zur Rettung der Korallenriffe ist die 50 Reefs Initiative: Sie identifizierte weltweit fünfzig potentiell widerstandsfähige Riffe, die es sich zu retten lohne, dabei drehte sie auch den Netflix-Film „Chasing Coral“. In der wissenschaftlichen Studie zu dem Vorhaben schreiben die Forschenden, sie hätten Theorien aus dem Finanzwesen auf den Naturschutz angewandt, um das Investitionsrisiko zu minimieren. Die größte Kritik daran: Schützt man keine hitzegestressten Riffe, schützt man auch keine Superkorallen. Sie verbreiten aber hitzetolerante Larven an andere Standorte und können ihnen ihre Superkraft beibringen, wie Forschende in dem Fachmagazin Nature Ecology & Evolution letztes Jahr mahnten.

 

Die 50 Reefs Initiative droht sich gegen solche Zweifel durchzusetzen, denn sie hat unter anderem mit der Stiftung des ehemaligen New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg reiche und einflussreiche Unterstützer. Sie identifizierte auch zwei schützenswerte Riffe in Fidschi – das Riff, in dem Corals for Conservation seinen Paradiesgarten aufgebaut hat, ist nicht dabei.

 

Trotzdem hat Austin Bowden-Kerby große Pläne: Er will unweit von hier eine riesige Korallen-Genbank anlegen, in der er Superkorallen von der gesamten Nordküste der Hauptinsel erhält, wenn es dort zu heiß wird. Sie sollen das Wort Bula formen, das bedeutet Hallo und Leben in Fidschi, er will, dass man es vom Flugzeug aus sehen kann. Allerdings fehlt ihm bislang noch das Geld dafür, und die Unterstützung. Victor Bonito etwa, der ebenfalls als Korallenforscher auf Fidschi arbeitet, hält von der Idee wenig. „Wenn man Korallen in eine andere Umgebung bringt, kann es sein, dass sie ihre Zooxanthellen verändern oder ihre Bakteriengemeinschaft wechseln“, erklärt er. Das bedeutet: Sie könnten ihre Superkraft, die Hitzebeständigkeit, verlieren. „Die wissenschaftlichen Grundlagen für diese Strategie sind noch nicht ausreichend erforscht“, kritisiert Bonito. Er hatte gerade Kollegen aus Frankreich und den USA zu Besuch, mit denen zusammen er Techniken entwickelt, um hitzebeständige Korallen per genetischem Scan oder Lichtspektrumsanalyse erkennen zu können, anstatt wie bislang auf Bleichen warten zu müssen. Wenn alles gut liefe, könnten die Technologien in drei bis vier Jahren so weit sein, sagt er.

 

Bowden-Kerby kennt Victor Bonitos Kritik und er räumt ein, dass ihm die Datengrundlage für sein Vorhaben fehlt. Er glaubt aber, dass dafür keine Zeit mehr ist. In einem Kommentar in dem Fachmagazin Oceans schreibt er deswegen: „Trial and error und Learning by doing waren noch nie so angebracht wie heute.“

 

Was sie beide eint, ist die Kritik an High-Tech-Lösungen wie dieser: Der deutsche Forscher Samuel Nietzer brachte Korallen im Labor dazu, sich fortzupflanzen. Um die Larven in der Natur anzusiedeln, hat die Queensland University of Technology in Australien den autonomen LarvalBot entwickelt, ein RangerBot soll Dornenkronenseesterne auftreiben und töten. Andere Überlegungen reichen von kühlenden Unterwasserpumpen, Beschattungen mit künstlichen Wolken bis zu Genmanipulationen. „Bisher hat sich jedoch noch nichts als so wirksam erwiesen, wie es für eine spürbare Wirkung erforderlich wäre“, urteilten Forschende im Fachmagazin One Earth.

 

„Australien steckt einen Haufen Geld in diese neuen Technologien, anstatt sich um die eigentlichen Probleme zu kümmern“, sagt Victor Bonito. „Bandaids“ nennt er sie: Pflaster statt Lösungen. Er und Bowden-Kerby arbeiten wie viele Korallenforschende weltweit mit minimalen Budgets, sie sagen: Eine Lösung muss günstig sein, damit sie funktioniert. Und sie sagen: Ihre Lösungen sind auch keine wirklichen Lösungen, sie kaufen den Korallen bloß Zeit. Zeit, bis die Menschen ihre CO2-Emissionen senken und die globale Erwärmung aufhalten. Es ist der einzige Weg, um die Korallen zu retten – und die Küsten, die sie schützen; und die Fische, die sie brauchen; und die eine Milliarde Menschen, die von ihnen abhängig sind.

 

Austin Bowden-Kerby hatte vor 45 Jahren einen Traum: „Ich stand auf einem Hügel und schaute ins Meer und ich sah, dass alle Korallen weiß waren. Ich sprang ins Wasser. Damals hatte noch niemand eine Korallenbleiche gesehen, ich hatte keine Ahnung, was ich da sah. Ich sah Lichtstrahlen, die aus der Tiefe kamen, und ich schwamm dorthin, wo sie herkamen, und zwischen den gebleichten weißen Korallenskeletten fand ich gebleichte weiße menschliche Skelette.“ Seitdem hofft er, dass er nicht die Zukunft gesehen hat.

 

der Freitag 2023

FOTOS Fabian Weiß

Die Serie „Blue New Deal“ ist ein Projekt von Svenja Beller, Julia Lauter, Martin Theis, Fabian Weiss und der Freitag. Das Projekt wird vom European Journalism Center (EJC) über den Solutions Journalism Accelerator finanziert. Dieser Fonds wird von der Bill & Melinda Gates Foundation unterstützt.