Werde ich jetzt gefeuert ... wegen dieser Kolumne?

Die Hauptforderung von Greta Thunberg, als sie ihren Klimaprotest vor viereinhalb Jahren begann, lautete stets: „Hört auf die Wissenschaftler!“ Sie meinte damit vor allem die an den Berichten des Weltklimarats Beteiligten – und die meisten von uns fanden das einleuchtend. Lasst die Forschenden reden, befanden wir, das kann ja nicht schaden.

 

Am besten sollen sie nur schreiben, und zwar in unzugänglicher Wissenschaftssprache, gerne kompliziert und mit Schachtelsätzen, Fußnoten, Substantivierungen. Sie wissen schon, so was wie: „Der Klimawandel mit den verbundenen Zunahmen der Häufigkeit und Intensität von Extremereignissen hat die Ernährungs- und Wasserversorgungssicherheit verringert, was Bemühungen, die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG) zu erreichen, behindert (hohes Vertrauen).“ Ja, das ist ein echtes Zitat des Weltklimarats.

 

Vor allem aber sollen sie neutral bleiben. Was passiert, wenn sie das nicht tun, haben die amerikanische Geowissenschaftlerin Rose Abramoff und der Klimawissenschaftler Peter Kalmus zu spüren bekommen: Sie hielten auf einer Konferenz der American Geophysical Union im Dezember zu Beginn eines Vortrags ein Banner mit der Aufschrift „Out of the lab & into the streets“ in die Höhe. In der Folge wurden sie von der Tagung ausgeschlossen, es wurde ein Verfahren wegen beruflichen Fehlverhaltens gegen sie eingeleitet, und im Januar wurde Rose Abramoff von ihrem Arbeitgeber, dem Oak Ridge National Laboratory, gefeuert. Nebenbei: Ist es Zufall, dass die Frau gefeuert wurde und der Mann nicht?

 

„Soweit ich weiß, bin ich die erste Geowissenschaftlerin, die wegen Klimaaktivismus entlassen wurde“, so Abramoff. „Ich fürchte, ich werde nicht die letzte sein.“ Mehr und mehr Forschenden fällt die erzwungene Neutralität angesichts der nahenden Katastrophe schwer. Bei einer Umfrage des Fachmagazins Nature unter mehr als 200 Klimaforschenden gaben zwei Drittel an, dass sie sich für den Klimaschutz einsetzen. Längst haben sich auch in Deutschland Ableger wie Scientists for Future oder Scientist Rebellion gegründet. Das sollte uns nicht aufregen, sondern wachrütteln.

 

Auch ich als Journalistin werde stets ermahnt, neutral zu bleiben, egal wie groß das Problem (Klimakrise) und wie offensichtlich die Lösung (Dekarbonisierung) auch sein mag. Aber wissen Sie, was? Ich halte es da mit den Forschenden und schreibe: „Raus aus dem Freitag und rauf auf die Straße!“ Falls Sie mich in Zukunft hier nicht mehr lesen sollten, dann wurde ich gefeuert.


Die leuchtenden Autobahnen des Volker Wissing

Da verrate ich wohl kein Geheimnis, wenn ich sage: Wir müssen uns echt was dazu einfallen lassen, wie wir uns künftig fortbewegen werden. Es gab eine Zeit, in der wir uns das Träumen erlaubt haben. Da stellten wir uns vor, in einer nicht allzu fernen Zukunft auf Hoverboards durch futuristisch designte Städte zu schweben (Zurück in die Zukunft II, 1989) oder mit fliegenden Taxen durch endlose Häuserschluchten zu jagen (Das fünfte Element, 1997). In den Zukunftsvisionen von heute fänden wir es schon sagenhaft, wenn die Züge pünktlich kämen und mit ein und demselben digitalen (!) Ticket nutzbar wären. Es wäre vermutlich auch nicht schlecht, wenn die Klimaanlagen darin funktionierten und die Schienen genügend Sicherheitsabstand zu potenziell umstürzenden Bäumen hätten, denn – Sie haben es wohl schon einmal gehört – die Klimaerwärmung wird künftig für mehr Hitze und Stürme sorgen.

 

Um solche sogenannten Extremwetterereignisse noch abzuwenden, ist es schon zu spät. Dafür ist auch der Verkehrssektor verantwortlich. In Deutschland trägt er mit knapp 150 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten zu den nationalen Treibhausgasemissionen bei, das sind rund 20 Prozent. Der Verkehr ist der einzige Bereich, der in den vergangenen Jahrzehnten seinen Treibhausgasausstoß nicht mindern konnte

– oder sollte ich sagen: wollte? Deutschlands diverse Verkehrsminister bleiben nicht unbedingt wegen ihrer Innovationsfreudigkeit in Erinnerung. Da bildet auch der derzeit amtierende Volker Wissing (FDP) keine Ausnahme, der kürzlich erst wieder verkündete: „Autofahren bedeutet Freiheit“ (der Freitag 05/2023). Das hätte auch eine Autowerbung nicht besser auf den Punkt bringen können.

 

Wissing will deswegen auch die Autobahnen weiter ausbauen, für mehr Freiheit sozusagen. Es sollen Wälder gerodet und neue Flächen versiegelt werden, damit darauf noch mehr Autos Abgase ausstoßen können. Studien haben gezeigt, dass mehr Straßen den Verkehr aber nicht entspannen, sondern zu mehr Verkehr anregen – seit 1995 hat die Fahrleistung in Deutschland um mehr als 20 Prozent zugenommen.

 

Trotzdem will Wissing an den neuen Autobahnen festhalten. Wenn Sie das ein wenig gestrig finden, dann haben Sie damit absolut recht, denn diese Ausbaupläne aus dem Bundesverkehrswegeplan stammen tatsächlich aus den 1980er und 1990er Jahren. Hunderte Kilometer neuer Autobahnstrecken will Wissing demnach durch Deutschland ziehen, viele Abschnitte plant er achtspurig, die A3 und die A5 in Frankfurt gar zehnspurig. Das ist ungefähr so innovativ wie Elon Musks großspurig angekündigte „Erfindung“ in Las Vegas: ein 2,7 Kilometer langer Tunnel, in dem man an Bord von beständig im Kreis fahrenden Teslas dem oberirdischen Verkehr entkommen soll. Ursprünglich sollten sich einmal viele solcher Tunnel durch mehrere amerikanische Städte ziehen, die Autos darin autonom fahren, mit Geschwindigkeiten von bis zu 240 Stundenkilometern. Nun werden sie von Menschen gefahren, mit etwas mehr als 50 Stundenkilometern. Die Räder der Autos wollte Musk ursprünglich an die Schienen im Tunnel anpassen, daraus wurde aber ebenfalls nichts.

 

Wer unterrichtet den armen Mann nun davon, dass die U-Bahn schon 1870 in London mit dem Tower Subway erfunden wurde? Der Schienenwagen darin fuhr allerdings nur wenige Monate, weil die Betriebskosten zu hoch waren, danach wurde der Tunnel für Fußgänger freigegeben. Okay, Musks Tunnel kann in unterschiedlichen Farben leuchten, das ist schon krass futuristisch. Das ließe sich ja auch für die neuen Autobahnen von Volker Wissing überlegen, ich schlage dafür einen neuen Begriff vor: Futurewashing. Hauptsache, es leuchtet schön.

 

 

 


Von Antichrist zu Aktivist: über die „Letzte Generation“

Beim Nachdenken über die selbst ernannte „Letzte Generation“ kam mir ein Comic des Schriftstellers und Zeichners Robert Gernhardt in den Sinn: „Wo dieser Strich zu Ende ist, da wartet schon der Antichrist“, lautet der Text, zu sehen sind ein langer Strich und, nun: der Antichrist. Gewissermaßen stellt sich die „Letzte Generation“ ja an das Ende einer Linie, die in die falsche Richtung zeigt, nämlich immer noch zu weit nach oben, und tut deswegen, was der Antichrist tut: Sie stört und nervt die guten Christen, die doch einfach nur in Ruhe ihr gutes christliches Leben weiterleben wollen.

 

Der Vergleich hinkt natürlich etwas, denn die „Letzte Generation“ will das Christentum nicht zerstören. Aber er passt insofern, als es sowohl beim Antichrist als auch bei der Protestgruppe um Figuren der Endzeit geht. Nach der letzten Generation kann ja nichts mehr kommen, auch nicht mehr die allerletzte oder die allerallerletzte. Das ist es doch, was die „Letzte Generation“ den guten Christen und allen anderen klarmachen will: Genug auf Kirchenbänken, Gebetsteppichen oder Yogamatten rumgesessen, wenn wir jetzt nichts tun, dann war’s das mit der Menschheit.

 

Der Vergleich mit dem Antichrist passt aber auch insofern, als die Protestgruppe von vielen als der Antichrist beschimpft wird, der bereit sei, über Leichen zu gehen und über kaputte Gemälde. Mitglieder der Gruppe haben im vergangenen Jahr mehrfach Straßen und Rollfelder blockiert, indem sie ihre Hände mit Sekundenkleber darauf festklebten.

 

Und sie haben Gemälde mit Lebensmitteln beworfen, etwa das Bild „Ge­treideschober“ von Claude Monet mit Kartoffelbrei. Die Gemälde waren allerdings alle hinter Glas, und höchstwahrscheinlich ist auch noch niemand durch die Verkehrsblockaden gestorben. Das wurde zwei Aktivisten zwar vorgeworfen, die sich auf der A 100

in Berlin festgeklebt und dadurch die Fahrt eines Rettungsfahrzeugs zu einer verunglückten Radfahrerin, die später im Krankenhaus starb, verlangsamt hatten. Allerdings wurde die Fahrt nur um wenige Minuten verzögert, und die Frau war bereits von anderen Rettungskräften geborgen worden. Berlins SPD-Innensenatorin Iris Spranger fand trotzdem, die Aktivistengruppe nehme die Bevölkerung in „Geiselhaft“.

 

Diesen Vorwurf könnte man genau so an die Politik zurückgeben, die uns mehr oder weniger tatenlos in die Klimakatastrophe jagt, weil es ihr zu anstrengend ist, etwas dagegen zu tun. Die Klimabewegung versucht sie seit Langem auf jede erdenkliche Art dazu zu bewegen: Demonstrationen, Blockaden, Appelle, Streiks – da ist es nur verständlich, es auch mal mit unangenehmeren Methoden zu probieren. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin prüft nun den Verdacht, die „Letzte Generation“ habe sich der Bildung einer kriminellen Vereinigung schuldig gemacht. Mehr als 1.300 Menschen haben sich daraufhin bereits selbst angezeigt.

 

Die Aufmerksamkeit ist also da. Nur liegt sie vor allem auf der „Letzten Generation“, weniger auf der Verhinderung des Klimakollaps.

 

Das Problem: Die Aktionen haben kaum bis gar nichts mit dem Klima zu tun. „Peinliches Geständnis: Wusste nicht, dass der Klimawandel von französischen Impressionisten verursacht wurde“, brachte das Scott Shapiro auf den Punkt, Professor für Recht und Philosophie in Yale. Es ist schwierig, wenn man die Aktion erst erklären muss – und wenn sie selbst dann unklar bleibt. „Man sollte nicht auf die Sprache der Maler hören, sondern auf die Sprache der Natur“, hatte eine Klimaaktivistin zur Erklärung Van Gogh zitiert.

 

Ich sag’s jetzt mal, wie es ist: Die Sprache der Natur wird ziemlich unmissverständlich werden, wenn wir klimapolitisch nicht bald aus dem Knick kommen, Kartoffelbrei hin oder her.


Die Klimapolitik der Schweiz

Die Schweiz hat versprochen, bis 2030 ihre CO2-Emissionen um 50 Prozent gegenüber denen im Jahr 1990 zu senken. Dazu hat sie bloß keine Lust. Was die Schweiz aber hat, ist Geld. Also hat sie sich überlegt, als weltweit erstes Land ärmere Länder dafür zu bezahlen, Emissionen in ihrem Namen zu senken. Da muss man sich

gar nicht ändern und kann sich sogar vormachen, den Armen der Welt zu helfen.

 

Ein erstes Klimaschutzprojekt hat das schweizerische Bundesamt für Umwelt mit Ghana unterschrieben. Die Schweiz bezahlt nun Menschen in Ghana dafür, auf eine klimafreundlichere Art und Weise Reis anzubauen (normalerweise entsteht dabei viel Methan). Bis 2030 soll Ghana damit über eine Million Tonnen CO2-Äquivalente einsparen. Die rechnet sich dann aber eben nicht Ghana an, sondern die Schweiz, weil die ja dafür gezahlt hat.

 

Bis zu ein Drittel ihrer CO2-Einsparungen will die Schweiz auf diese Weise von anderen umsetzen lassen. Weitere Auslandsprojekte sind etwa mit Peru, Senegal und Vanuatu geplant – Ländern, die nicht nur besonders wenig zur Klimaerwärmung beigetragen haben, sondern auch besonders stark unter deren Folgen leiden. In Peru schmelzen die Andengletscher ab, Senegal wird von extremen Dürren und Überschwemmungen heimgesucht, und der Inselstaat Vanuatu droht unter dem steigenden Meeresspiegel zu verschwinden. Sie alle sollen nun CO2 sparen, damit die Schweizer weiter SUV fahren können.

 

Das ist nicht nur geschmacklos, sondern wohl sogar kontraproduktiv für den Klimaschutz. Denn die Gefahr ist, dass die Schweiz Projekte finanziert, die ohnehin schon geplant waren. Es wären dann also keine „neuen“ Einsparungen. Die Schweiz bestreitet das, bei einem geplanten Klimaschutzprojekt in Georgien deckte das deutsche NewClimate Institute eine solche Dopplung aber bereits auf. Oft erzielten solche Projekte darüber hinaus gar nicht die versprochenen Reduktionen, kritisiert Greenpeace.

 

Egal, die Schweiz reibt sich derweil die Hände, denn CO2 im Ausland zu sparen ist viel billiger als daheim: 20 bis 40 Franken statt etwa 120 Franken pro Tonne CO2, rechnet die Neue Zürcher Zeitung vor. Und im Land des Bergkäses läuft weiter business as usual – nobel geht die Welt zugrunde.


Oh Gott, ich will hier weg! Null Bock auf die AKW-Debatte

Alles kommt zurück. Auch jene Dinge, die wir lieber in der Vergangenheit zurückgelassen hätten, um sie nur noch manchmal schmunzelnd auf alten Fotos anzuschauen. Die Schlaghose (ihr Comeback feierten die Modezeitschriften schon letztes Jahr), der Vokuhila (für dessen Wiederkehr einige die Pandemie verantwortlich machen, weil man ihn sich relativ leicht selbst schneiden kann), das Ozonloch (gerade verkündete ein kanadischer Forscher, ein neues gewaltiges Loch über den Tropen gefunden zu haben, von dem etwa die Hälfte der Weltbevölkerung betroffen sei), vielleicht Donald Trump (...) – und jetzt auch die Atomkraft. Wir scheinen es nicht zu lernen: Was einmal hässlich war, darf auch zweimal hässlich sein.

 

Falls Sie also noch alte „Atomkraft? Nein danke“-Aufkleber im Schrank liegen haben, dann lassen Sie uns hoffen, dass die noch kleben: Sie werden wieder gebraucht!

 

Das EU-Parlament stimmte vor wenigen Tagen dafür, Gas und Atomkraft im Rahmen der EU-Taxonomie als nachhaltig einzustufen. Finanzinvestitionen in Atomkraftwerke würden damit ab 2023 als nachhaltig gelten, weil sie nun als „Brückentechnologie“ zur Klimaneutralität eingestuft werden. Österreich hat schon angekündigt, dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof zu klagen. Die EU-Staaten könnten das auch noch außergerichtlich blockieren, dafür müssten sich allerdings 20 Staaten zusammenschließen, die gemeinsam mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung vertreten – was eher unwahrscheinlich ist.

 

Wieso? Weil Atomenergie wieder voll „in“ ist: Frankreich hat sich sowieso nie davon abbringen lassen, Polen will nun sein erstes Kraftwerk bauen, bis 2043 sollen es sechs werden, auch Zwischen- und Endlager für die verbrauchten Brennstäbe sind geplant, die Standorte stehen noch nicht fest. Also alles easy!

 

Wenige Monate bevor in Deutschland die letzten drei Atomkraftwerke heruntergefahren werden sollen, geht auch hierzulande die Diskussion wieder los, ob das denn wirklich die richtige Entscheidung ist. Die FDP fordert angesichts der Gaskrise, die Kraftwerke wenigstens drei Monate länger in Betrieb zu lassen und die Argumente darüber „vorurteilsfrei“ auszutauschen, wie es Bundesfinanzminister Christian Lindner formuliert.

 

Und auch außerhalb der EU bereitet man sich fröhlich auf eine Rolle rückwärts in die Radioaktivität vor: Der südkoreanische Präsident annullierte den Atomausstieg seines Vorgängers, und elf Jahre nach der Katastrophe in Fukushima will selbst Japan wieder Kraftwerke bauen. Ich fand Missionen, um andere Planeten zu besiedeln, bislang albern – aber jetzt will ich hier weg. Vielleicht zusammen mit E.T.? Die 80er sind doch gerade wieder in.


Das EU-Parlament hat keinen Sinn für Tank-Romantik

Der beißende Geruch von Benzin, das schwungvolle und punktgenaue Anfahren an die Tanksäule, das lässige Einstecken des Zapfhahns, einer Penisverlängerung gleich, in die einladende Öffnung des geliebten Autos, der kleine Schüttler am Ende – das alles wird bald der Vergangenheit angehören. So will es zumindest das EU-Parlament: Von 2035 an sollen keine Neuwagen mit Verbrennungsmotor mehr zugelassen werden. Keine Angst liebe Autofreunde, entschiedene Sache ist das noch nicht. Bis zum Ende des Monats müssen sich nun erst mal die EU-Mitgliedstaaten dazu positionieren – und sich dann mit dem Parlament einigen. Da kann also noch einiges aufgeweicht werden.

 

Wenn Sie nun aber auf die deutsche Autofahrernation als Bremskeil im Getriebe des Fortschritts setzen, muss ich Sie leider enttäuschen: Bundesumweltministerin Steffi Lemke von den Grünen hat sich stellvertretend für Deutschland bereits zum Verbrenner-Aus 2035 bekannt. Nicht aber das Bundesverkehrsministerium. Dabei fordern viele große Autohersteller selbst einen Umstieg auf Elektromobilität. Audi zum Beispiel will von 2026 (!) an keine neuen Verbrenner mehr auf den Markt bringen.

 

Schon als sechs Autobauer – darunter Mercedes-Benz, Volvo und Ford – vergangenes Jahr auf dem Weltklimagipfel in Glasgow erklärten, spätestens 2035 in führenden Märkten nur noch emissionsfreie Autos verkaufen zu wollen, machte das Verkehrsministerium unter der damaligen Leitung von Andreas Scheuer von der CSU eine peinliche Figur. Er wünschte sich einen Erhalt der Verbrennertechnologie mit synthetischen Kraftstoffen – die kann man auch so richtig mit Zapfhahn und Lässigkeit in den Tank reinspritzen. Die sogenannten eFuels sind aber teuer und werden wahrscheinlich in der Luft- und Schifffahrt gebraucht.

 

Weil das EU-Parlament jetzt auch die synthetischen Kraftstoffe aus seinen Plänen ausschließt, ist der jetzige Verkehrsminister Volker Wissing von der FDP gegen diese Pläne – da spritzt halt nichts.

 

Na, was machen wir denn jetzt? Ein interessantes Schlupfloch hat die Auto Bild gefunden: Einem Betrieb von Verbrennern auf Privatgelände oder Rennstrecken sollte das neue Gesetz nicht widersprechen. Wenn Sie also zum Lager der Herren Scheuer und Wissing gehören, hier folgender Rat: Schließen Sie sich mit Ihren Nachbarn zusammen, machen Sie die Vorgärten platt und bauen Sie dort eine private Straße, parallel zur öffentlichen. Eine private Tankstelle könnten Sie da dann auch hinbauen – und dort den lieben langen Tag lässig an der Zapfsäule lehnen.


Saudi Aramco stellt den Sekt kalt – es wird 1,5 Grad wärmer

Wir scheinen der Katastrophe näher als gedacht: Gerade hat die Weltwetterorganisation verkündet, dass eine Erderwärmung von 1,5 Grad in den kommenden fünf Jahren erreicht werden könnte. Wir erinnern uns: Mit dem Pariser Klimaabkommen haben sich die unterzeichnenden Staaten dazu verpflichtet, die globale Erwärmung möglichst unter dieser Marke zu halten. Wenn sie nun in einem Jahr gerissen wird, heißt das noch nicht, dass das Vorhaben gescheitert ist, dafür müsste die Temperatur langfristig bei plus 1,5 Grad liegen. Aber es ist eine klare Ansage, wo die Reise hingeht, und zwar sehr viel schneller als gedacht.

 

Während wir uns noch von dieser Schocknachricht erholen, knallen in Saudi-Arabien die Sektkorken. Denn der Ölkonzern Saudi Aramco, der zu 95 Prozent der saudischen Regierung gehört, hat dieser Tage den IT-Konzern Apple als wertvollstes Unternehmen der Welt abgelöst: Er wurde mit 2,42 Billionen US-Dollar bewertet – das ist eine Zahl mit zwölf Nullen –, Apple sank auf 2,37 Billionen Dollar.

 

Ja, Sie haben richtig gelesen: In Zeiten, in denen jeder Wicht verstanden hat, dass wir die weltweiten CO2-Emissionen so schnell wie möglich senken müssen, macht ein Ölkonzern nicht nur „business as usual“, sondern „business better than ever“. Und das, obwohl an der Weltmarktspitze eigentlich längst das Zeitalter der Tech-Firmen angebrochen ist. Saudi Aramco ist der letzte verbliebene Energiekonzern in den Top Ten, in denen ansonsten Microsoft, Alphabet, Amazon und Co. um die Führung konkurrieren.

 

Aber für Saudi Aramco läuft es auch in finsteren Zeiten einfach rund, der Ölkonzern fördert größtenteils aus leicht und günstig zu erschließenden Feldern an Land oder in flachen Gewässern. Wenn ich schreibe „rund“, dann meine ich nicht Nuancen: Der Unternehmensgewinn von Saudi Aramco hat sich im vergangenen Jahr nicht nur ein bisschen verbessert – nein, er hat sich verdoppelt. Zupass kamen dem Ölgiganten die Krisen unserer Zeit: Zum einen das Ende der Coronakrise, denn die wirtschaftliche Erholung ließ die Nachfrage nach Öl in die Höhe schießen, zum anderen der Beginn der durch die russische Invasion in die Ukraine ausgelösten Energiekrise.

 

Und jetzt geht es eben mit Vollgas in die Klimakrise. Man wird da ja wohl ein bisschen Geld verdienen dürfen, solange es noch geht, oder? Wir hängen da übrigens so gut wie alle mit drin – wer in den vergangenen Tagen vollkommen ohne Öl oder Produkten aus Öl gelebt hat, werfe nun gerne den ersten Stein.


Dann stirbt der Homo sapiens eben aus – auch cool

Es ist amtlich: Deutschland hat sein Klimaziel zum zweiten Mal in Folge verfehlt. Statt abzunehmen, nahmen die Treibhausgasemissionen 2021 gegenüber dem Vorjahr sogar um 4,5 Prozent zu. Das ist nicht nur ein bisschen mehr, nein, das ist historisch viel mehr: Es ist die größte prozentuale Zunahme der Treibhausgasemissionen seit 1990, wie der Klimarat in seinem vor Kurzem veröffentlichten Prüfbericht feststellte.

 

Das ist ganz generell beschämend, insbesondere in einem Jahr, in dem die Gesellschaft für deutsche Sprache die Aussage „fünf nach zwölf“ auf Platz zehn der Wörter des Jahres wählte als einen „beliebt gewordenen Ausdruck für besonders starken Aktionsbedarf in der Klimapolitik (...) oder auch in anderen Zusammenhängen“. Ja, Klimafatalismus ist so richtig en vogue! Da ist es ein ziemliches Scheißgefühl, weiterhin ungebremst, ja sogar mit erhöhter Geschwindigkeit, auf eine Klimaerwärmung zuzurasen, die unser aller Leben sehr ungemütlich machen wird. Vielleicht mag sich der eine oder die andere mit dem Gedanken trösten, dass es klimatische Veränderungen auf der Erde ja schon immer gegeben hat, so schlimm kann es doch nicht sein?

 

Das ist ja nicht ganz falsch. Die Erde umkreist die Sonne nicht gleichmäßig, sie eiert eher auf einer sich bewegenden Ellipse um sie herum und verändert dabei auch noch ihren eigenen Winkel. Deswegen strahlt die Sonne unterschiedlich stark auf die Erde, also verändert sich das Klima. Welchen Einfluss das auf menschliche Populationen hatte, erforschte nun ein internationales Wissenschaftlerteam. Bislang konnte man dazu nur Vermutungen anstellen, weil es wenige Klimaaufzeichnungen aus den vergangenen paar Hunderttausend Jahren von Orten gibt, an denen Fossilien gefunden wurden. Aber nun ließen die Forscher den südkoreanischen Supercomputer Aleph über sechs Monate hinweg nonstop laufen, und der errechnete die längste umfassende Klimamodellsimulation aller Zeiten. Das Ergebnis: Klimatische Veränderungen hatten einen großen Einfluss darauf, wo unsere Vorfahren lebten und wer wir heute sind. „Unsere Studie belegt, dass das Klima eine grundlegende Rolle bei der Evolution unserer Gattung Homo gespielt hat. Wir sind, was wir sind, weil wir es geschafft haben, uns über Jahrtausende hinweg an langsame Klimaveränderungen anzupassen“, sagt Axel Timmermann, der Leitautor der Studie.

 

In einem 13-minütigen Youtube-Video erklärt der Forscher die Hauptfunde, ganz zu Anfang zeigt er unseren Familienbaum. Unten all jene Gattungen, die ausgestorben sind, also etwa Australopithecus oder Paranthropus. Die sind ausgestorben, weil sich das Klima und damit auch das Nahrungsangebot für sie ungünstig verändert hatte. Oben auf dem Familienbaum stehen wir, die es bis hierher geschafft haben: Homo sapiens. Tja, und der Baum sieht da so schön fertig aus mit Krone und allem, aber es ist ja doch recht unwahrscheinlich, dass er nicht weiterwachsen wird. Was ich damit sagen will: Wenn wir jetzt zum ersten Mal in der Erdgeschichte dabei sind, das Klima aktiv zu verändern, dann wird vermutlich etwas sehr Ähnliches passieren wie bei den vorherigen natürlichen Schwankungen. Dann kriegt der Familienbaum einen neuen Ast – ob unser Ast dann noch weiterwächst, sei mal dahingestellt.

 

Solange wir also damit leben können, dass wir Homo sapiens in der Zukunft ganze Kontinente verlassen müssen oder dass wir eben eventuell bald einfach aussterben und von der nächsten Gattung abgelöst werden, ist das alles gar nicht weiter beunruhigend mit dem Klimawandel – alles cool.


Their hearts will go on: Ein Klima für die Liebe der Albatrosse

Wäre der Klimawandel ein Kinofilm, dann wäre er mäßig besucht: zu diffus, zu kompliziert, zu abstrakt und – zumindest bis­lang noch – zu weit an der Lebensrealität der meisten Menschen vorbei. Und wo ist die Liebesgeschichte? Filme mit Beziehungsdramen verkaufen sich ein­fach besser. Deswegen werden in Holly­wood sogar Skripte, die auf wahren Be­gebenheiten beruhen, mit gefühlvollen Liebesgeschichten „aufgehübscht“. James Cameron etwa dachte sich das Drama rund um Rose und Jack in Titanic kom­plett selber aus. Kann man doof finden, hat aber angesichts von elf Oscars und gut 130 Millionen Kinobesuchern ganz gut geklappt.

 

Was heißt das für die Massentaug­lichkeit des Klimawandels und das Enga­gement für seine Bekämpfung? Eine Liebesgeschichte muss her! Glücklicher­weise wird uns diese nun von For­schenden der Universität Lissabon ge­liefert. Seit 15 Jahren beobachten sie die Fortpflanzung der Schwarzbrauen­albatrosse auf der westlich gelegenen Falklandinsel New Island, auf der die Tiere sich alljährlich zur Brutzeit treffen – und zwar immer mit demsel­ben Partner. Albatrosse sind extrem treue Liebende, ihre bis zu siebzig Le­bensjahre verbringen sie zwar größ­tenteils getrennt voneinander, ihre Kü­ken ziehen sie aber Jahr für Jahr mit ihrer Liebe fürs Leben auf.

 

Die Treue der Vögel bröckelt nun aber angesichts des Klimawandels. Der heizt das Meer an, und in Jahren mit höheren Meerestemperaturen beob­achteten die Forschenden mit 7,7 Pro­zent eine mehr als doppelt so hohe Trennungsrate bei den Albatrosspaaren wie in normalen Jahren, in denen sich nur 3,7 Prozent von ihnen trennen. Bis jetzt war der Grund meist, dass es mit der Fortpflanzung nicht klappte. Warum die höheren Temperaturen die Paare entzweien, ist unklar. Die zwei Thesen der Forschenden: Wärmere Gewässer sind nährstoff-­ und ressource­närmer, die Vögel müssen also länger jagen und schaffen es nicht rechtzeitig zur Brutzeit zu ihrem Partner, der sich dann einen anderen sucht. Oder: Die höhere Temperatur stresst die Weib­chen, sie machen dafür ihren Partner verantwortlich und trennen sich.

 

Und nun frage ich: Können wir ernst­haft wollen, dass die Liebe der treuesten Tiere auf diesem Erdball in die Brüche geht, nur weil wir gerne Kohle und Öl verbrennen? Oder könnte das der Hollywood-­Moment der Klimaschutzbe­wegung werden? Die Rettung der Liebe der Albatrosse! Ein Paar fliegt zusammen in den Sonnenuntergang, kitschige Musik, Abspann, Vorhang. Und danach geht ein empörtes Millionenpublikum auf die Straße.


Es gab da noch eine ganz andere Wahl – mit klarem Ergebnis

War sie das, die Klimawahl? Ich hoffe nicht, denn dann hätte sich die Mehrheit
der Menschen in Deutschland gegen die Rettung des Klimas entschieden und damit gegen ihre eigene Rettung und die ihrer Kinder. Das wäre ja schön blöd. Die Grünen und die Linke – die einzigen Parteien, deren Wahlprogramme uns wenigstens in die grobe Nähe des 1,5-Grad-Ziels bringen würden – haben zusammen gerade einmal 19,7 Prozent der Stimmen bekommen. Wenn das nun also die Klimawahl war, dann wünsche ich uns allen zusammen fröhliches Untergehen.


Vielleicht hatten die Wahlberechtigten beim Setzen ihrer Kreuzchen einfach
zu viele andere Dinge im Kopf? Vielleicht hätte man sie einfach mal direkt auf den Kopf zu fragen sollen: Welt retten jetzt, ja oder eher nicht?


Ganz genau das hat dieses Jahr der Verein Abstimmung21 gemacht, er rief nämlich zeitgleich zur Bundestagswahl zur ersten bundesweiten Volksabstimmung auf. Zur Erinnerung: Volksabstimmungen gibt es in Deutschland nur auf Landes- oder Kommunalebene, weil Abstimmung21 sich das aber auch auf Bundesebene wünscht, hat der Verein das einfach selber organisiert.


Er motivierte gut 344.500 Menschen, sich für die Abstimmung zu registrieren. Abgestimmt haben dann rund 160.000, bislang davon ausgezählt waren zuletzt mehr als 100.000 Stimmen. So, und die sagen Ja zur „Klimawende 1,5 Grad“, und zwar zu knapp 80 Prozent. Ha, da ist sie, die Klimawahl! Wäre dieser Entscheid politisch bindend, dann müsste Deutschland nun ein 20 Maßnahmen umfassendes Klimaschutzgesetz verabschieden und das 1,5-Grad-Ziel als Staatsziel festschreiben. Ist er aber nicht, und es ist auch fraglich, wie repräsentativ das Ganze war. Die Abstimmenden sagten nämlich auch sonst zu allem mit großer Mehrheit Ja: zur Widerspruchsregelung bei Organspende, zu einer nicht auf Profit ausgerichteten Funktionsweise der Krankenhäuser – und zu Volksabstimmungen auf Bundesebene. Es liegt also der Verdacht nahe, dass da nicht der politische Durchschnitt geantwortet hat, was mit Blick auf die dahinter stehenden Organisationen wie abgeordnetenwatch.de, change.org, Democracy International, Foodwatch und Fridays for Future auch nicht überrascht.


Wie wäre das Ergebnis wohl ausgefallen, wäre es tatsächlich ein offizieller Volksentscheid gewesen? Wie viel Geld wäre in die Kontra-Werbekampagne der fossilen Industrie geflossen? Und hätte es einen Unterschied gemacht, wenn zur Stimmabgabe Gratis-Bratwürste verteilt worden wären? Und: Wollen wir die Antworten darauf wirklich wissen?


Wie die Lobby der Fischer den Dorsch aussterben lässt

Es ist an der Zeit, sich in der westlichen Ostsee vom Dorsch zu verabschieden, einem silbrig-ockerfarbenen Gesellen mit glasigen Augen und wuchtigem Körper. Lebewohl wäre zu diesem Anlass der falsche Gruß, eher müsste es Sterbewohl heißen, denn er stirbt dort aus, der Dorsch.


Zwar schwimmen heute noch einige Exemplare in den Gewässern zwischen Deutschland, Dänemark und Schweden, aber Forscherinnen und Forscher des Centrums für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit der Universität Hamburg sind sich sicher: Es sind zu wenige, um die Population aufrechtzuerhalten. Die Gründe dafür nennen sie in ihrer im Fachblatt Scientific Reports veröffentlichten Studie: Überfischung und vom Klimawandel aufgeheiztes Wasser, das den Fischen das Brüten erschwert.


In einigen Medien ist nun zu lesen, dass eigentlich immer „nachhaltige“ Fangmengen festgelegt würden – da habe man nur leider den Klimawandel nicht im Blick gehabt. Ich kenne den Ostsee-Dorsch von einer nunmehr fünf Jahre zurückliegenden Recherche
recht gut – „nachhaltig“ waren die Fangquoten da schon längst nicht mehr. Bereits damals lautete die wissenschaftliche Empfehlung des Internationalen Rates für Meeresforschung, die Fangquote für den Dorsch um knapp 90 Prozent zu reduzieren, um ihn zu retten.


Dass er nun ausstirbt, ist zum einen die Schuld des Deutschen Fischereiverbandes, der „politische“ – also höhere – Fangquoten forderte, und zum anderen die Schuld der EU-Kommission und des EU-Ministerrats, die diese dann auch beschlossen. Denn die Küstenfischerei musste ja gerettet werden – dass die Fischerinnen und Fischer dann bald nichts mehr zu fangen haben würden: geschenkt. Der Dorsch war einmal
ihre wichtigste Einnahmequelle, weshalb sie ihn „Brotfisch“ nannten. Auch für ihren zweitwichtigsten Fisch, den Hering, sieht es schlecht aus. Für den hat der Internationale Rat für Meeresforschung jetzt einen Fangstopp empfohlen. Ob sich die Fischereipolitiker der Europäischen Union an den wissenschaftlichen Rat halten werden, wird sich erst im Herbst zeigen.


Ein Wissenschaftler, mit dem ich für meine damalige Recherche sprach, nannte die Fischereipolitiker „Kuhhändler“, was keine Verirrung in der Tierart ist, sondern eine Metapher für ihre lobbyfreundlichen Entscheidungen. Ich komme nicht umhin, mir an ihren Bürowänden diese als ulkige Wanddekoration gedachten singenden und tanzenden Plastikfische vorzustellen, wie sie ausgelöst von Bewegungsmeldern ihre Lieder trällern – und das ist wirklich nicht ausgedacht: Don‘t worry, be happy und I will survive.


Single bleiben für das Klima? Nein. Make love, not CO2!

Teile Deutschlands und Chinas werden überflutet, Nordamerika ächzt unter extremer Hitze, Waldbrände wüten dort, auch in Sibirien und Südeuropa, den Olympioniken in Japan droht der Hitzschlag und der britische Wetterdienst gibt zum ersten Mal in seiner Geschichte eine Hitzewellen-Warnung raus. So sieht der Klimawandel aus – nur ein Vorgeschmack auf das, was uns noch bevorsteht.


Eine Studie aus Schweden fand nun heraus: Männer tragen an all dem ein bisschen mehr Schuld als Frauen. Die Forschenden vergleichen das Verhalten von Single-Männern und Single- Frauen – sie finden die größten Unterschiede beim Autofahren mit Verbrennungsmotoren und beim Fleischessen. Weil Männer das – ganz ihrem Stereotyp entsprechend – mehr machen, heizen sie das Klima um genau 16 Prozent mehr an. Um konstruktiv zu sein, rechnen die Forschenden auch noch vor, dass beide Geschlechter ihren CO2-Fußabdruck um ganze 40 Prozent reduzieren könnten, wenn sie auf eine vegane Ernährung umstellten und statt mit dem Flugzeug oder Auto mit dem Zug in den Urlaub führen.


Was sie unter den Tisch fallen lassen: Für das Klima wäre es außerdem am besten, wenn sie Singles blieben – oder zumindest keine Familie gründeten. Denn der größte Einfluss, den ein Mensch auf seine Treibhausgasemissionen nehmen kann, ist, weniger Kinder zu bekommen. Das fand eine ebenfalls schwedische Studie schon 2017 heraus. Die Forschenden kritisierten damals, dass die meisten Regierungen diese hochwirksame Maßnahme kaum erwähnten, sondern lieber auf Recycling oder Energiesparlampen verwiesen – uns allen dürfte mittlerweile dämmern, dass wir damit das Ruder nicht mehr herumreißen können. Weniger Kinder zu bekommen sei natürlich eine zutiefst persönliche Entscheidung, räumten die Forschenden ein, aber: „Es ist unsere Aufgabe als Wissenschaftler, die Daten ehrlich zu berichten.“


Okay, wenn wir schon dabei sind, die Daten ehrlich zu berichten, dann müssen wir hier fairerweise auch mal sagen: Wir und unsere Kinder sind nicht das Klimaproblem, sondern die fossile Industrie. Die 100 größten Hersteller fossiler Brennstoffe sind für 70 Prozent der Treibhausgase in der Atmosphäre verantwortlich, das belegt ein Report, ebenfalls aus dem Jahr 2017. Es kommt noch viel besser, denn das sind genau jene Kohle-, Öl- und Gaskonzerne, die uns einreden wollen, wir seien das Problem. Wissen Sie, woher der Begriff „CO2-Fußabdruck“ kommt? Er stammt aus einer Werbekampagne von British Petroleum (BP) aus dem Jahr 2000.


Vier Jahre später brachte BP seinen CO2-Fußabdruck-Rechner raus – mit großem Erfolg: Mittlerweile umarmen Medien und Umweltorganisationen das Konzept, als wäre es ihr eigenes. Einige nennen das „gelungene Propaganda“. Natürlich ist es grundsätzlich nicht schlecht, sich selbst zu analysieren und einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Nur in einem System, das größtenteils durch fossile Energieträger befeuert wird, ist der Spielraum dafür eben sehr klein. Das zeigten Forschende des Massachusetts Institute of Technology eindrücklich, als sie den CO2-Fußabdruck einer fiktiven obdachlosen Person in den USA berechneten, die in Suppenküchen aß und in Obdachlosenheimen schlief: Er lag immer noch bei 8,5 Tonnen im Jahr. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Durchschnitt bei 10,4 Tonnen, bis 2050 muss er runter auf zwei Tonnen, wenn wir eine starke globale Erwärmung vermeiden wollen.


Ihr „Fußbadruck“ wird darüber nicht entscheiden, sondern die (Un)Vernunft der fossilen Industrie. Mit anderen Worten: Bekommen Sie ruhig Kinder, wenn Sie wollen. Oder mit noch anderen Worten: Make love, not CO2.


Tanzt mit mir den heißen Klima-Cha-Cha-Cha!

Es ist doch eine ziemlich eigenartige Choreografie, bei der man Wissenschaft, Politik und Industrie in Endlosschleife zuschauen kann. Die Wissenschaft verkündet besorgniserregende Erkenntnisse, die Politik reagiert viel zu spät mit viel zu kleinen Maßnahmen und die Industrie beschwert sich dann trotzdem darüber. Also muss die Wissenschaft noch mehr besorgniserregende Erkenntnisse verkünden, und so geht das munter immer weiter. Die verlässliche Abfolge ist, wenn man so will, ein sauber einstudierter Cha-Cha-Cha. Cha – warnen, Cha – dösen, Cha – maulen.


Gerade ließ sich das wieder schön am Beispiel Klima beobachten. Zuerst schockt der Weltklimarat: Erwärmt sich das Weltklima um zwei Grad, werden 420 Millionen Menschen zusätzlich dem Risiko von Hitzewellen ausgesetzt. Bis zum Jahr 2050 laufen zudem acht bis achtzig Millionen Menschen zusätzlich Gefahr, Hunger zu leiden – abhängig davon, wie hoch die Treibhausgasemissionen sein werden. Selbst wenn die sinken sollten, werden der Zusammenbruch ganzer Ökosysteme, Wasser- und Nahrungsknappheit und die Verbreitung von Krankheiten immer schneller zunehmen. Was die Forschenden auch noch schreiben: Die Erde kann sich von all dem erholen, die Menschen nicht. Jeder „Bruchteil eines Grads Erwärmung“ zähle nun, um das Schlimmste abzuwenden. Cha!

 

Kurz darauf beschließt die deutsche Bundesregierung – gezwungen durch das Bundesverfassungsgericht – ihr neues Klimaschutzgesetz: Klimaneutralität schon 2045 statt erst 2050, bis 2030 soll der CO2-Ausstoß im Vergleich zu 1990 um 65 Prozent statt um 55 Prozent sinken. Und alle Sektoren bekommen verbindliche Ziele, die gab es bislang nur bis 2030. Die ehemalige Umweltministerin Barbara Hendricks schwelgt in Erinnerungen an den Beschluss des Pariser Klimaabkommens 2015 und lässt sich zu dem Satz hinreißen: „Wir haben Geschichte geschrieben, und daraus machen wir Zukunft.“


Warum nennt Klimaforscher Mojib Latif es dann trotzdem ein „Larifari-Gesetz“? Weil die dafür notwendigen Veränderungen gewaltig wären, die tatsächlich beschlossenen aber winzig sind. Der Kohleausstieg müsste dafür bis 2030 über die Bühne gehen, ist aber erst für 2038 geplant. Die erneuerbaren Energien müssten viel schneller ausgebaut werden als nun beschlossen. Der CO2-Preis für Verkehr und Gebäude müsste bei 100 Euro liegen, liegt aber derzeit nur bei einem Viertel davon. Bis 2026 soll er auch nur auf 55 bis 65 Euro klettern. Ein Enddatum für den Verbrennungsmotor gibt es nicht. Die Industrie träumt zwar vom „grünen“ Wasserstoff, aber niemand weiß, wo der herkommen soll. Und die Tierbestände müssten für ein Erreichen der Klimaziele ebenfalls schrumpfen, aber darüber wollte die Regierung nicht einmal diskutieren. Cha!

 

Die Industrie fängt trotzdem schon mal an zu maulen: „Ausufernde Regulierung und eine Verbotskultur“ seien mit der sozialen Marktwirtschaft nicht vereinbar, kritisiert Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Ihm geht das alles zu schnell; er möchte, wenn schon, dass nun schleunigst öffentliches Geld in die Infrastruktur fließt. Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, findet das Gesetz übereilt, fordert mehr Geld vom Bundesumweltministerium und eine Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit. Cha!


Der Weltklimarat hat sich 1988 gegründet, 1990 veröffentlichte er seinen ersten Sachstandsbericht. Schon damals mahnte er: Wolle man einen Temperaturanstieg vermeiden, müssten die Emissionen umgehend um sechzig Prozent gesenkt werden. „Die Zeitbombe tickt“, sagte damals der britische Meeresbiologe und Leitautor John Woods. Das ist jetzt mehr als dreißig Jahre her. Und zwo, drei, Cha-Cha-Cha!


Amazon vermüllt die Welt – und alle machen mit

Amazon ist immer für einen Skandal gut, diesmal für den gleichen zum zweiten Mal in Folge: Nachdem Greenpeace schon 2019 aufgedeckt hatte, dass der Online-Händler systematisch Neuwaren zerstört, die zu lange im Regal liegen, war die Empörung groß. „Das ist etwas, dem ich jetzt endlich einen Riegel vorschieben will“, tönte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) damals großspurig und präsentierte im darauffolgenden Jahr ein Gesetz zur sogenannten „Obhutspflicht“, das der Verschrottung einen Riegel vorschieben sollte.
 
Gut, bislang wird das Gesetz mangels konkreter Rechtsverordnungen gar nicht umgesetzt, und die sind auch nicht in Sicht. Denn dafür müsste man erst mal wissen, wie viele Waren überhaupt vernichtet werden, und das verrät Amazon natürlich nicht, deswegen müssten Unternehmen zunächst mal zur Transparenz verpflichtet werden ... Tja, also in dieser Legislaturperiode wird das jedenfalls nichts mehr, gibt denn auch das Bundesumweltministerium zu.


Und so lange verschrottet Amazon seine Ladenhüter fröhlich weiter,
wie Greenpeace nun noch mal mit einem anonym eingeschleusten Rechercheur dokumentierte. Ja, sapperlot! Auf den heimlich gefilmten Videoaufnahmen sind einige der Kleidungsstücke und Spielzeuge zu sehen, die der Konzern zum Verschrotten aussortiert. Und beim Betrachten dieser Bilder drängt sich der Eindruck auf, dass ein Großteil dieser Sachen nicht erst zu Schrott gemacht wird, sondern das schon immer war: billige Polyesterhemdchen, denen man die elektrischen Schläge ansieht, die sie bei Berührung austeilen würden; giftbunte Kuscheltiere – Ramsch. So gesehen kürzt Amazon da nur ein bisschen ab: Würde der Händler die Sachen nicht sofort in den Müll werfen, dann würden das eben die Käufer kurze Zeit später machen.


Das finden Sie zynisch? Auf eine Greenpeace-Umfrage vor einigen Jahren antwortete fast die Hälfte der Befragten, Schuhe, Oberteile und Hosen schon nach weniger als einem Jahr auszusortieren. Und dann kaufen sie wieder neue – seit Beginn der Pandemie noch lieber bei Amazon. Der US-Konzern surft die Wellen (Achtung: Doppeldeutigkeit!) mit Vergnügen und will in Deutschland 5.000 neue Jobs schaffen, vergangenen November nahm er am Flughafen Leipzig-Halle sein erstes regionales Luftfrachtzentrum Europas in Betrieb.


Und so arbeiten wir alle gemeinsam, Hand in Hand, an der Vermüllung der Welt, verpackt in Luftpolsterfolie und Pappkartons – aber mit einem Lächeln, in der Form des Amazon-Pfeils.


Was lernen wir aus der Pandemie? Nichts!

Wir Menschen sind sinnsuchende Wesen, und so verwundert es nicht, dass wir auch bei einer globalen Pandemie verzweifelt nach dem positiven Dreh fahnden. Wie schön wäre das, wenn das grassierende Virus SARS-CoV-2 nicht einfach nur unser aller Leben anhielte und mehr als drei Millionen davon beendete, sondern wenn es auch für irgendwas gut wäre, oder? Wie wir den Ausnahmezustand anfangs romantisierten: Mutter Erde gibt uns zu verstehen, dass sie mal eine Pause braucht; die Menschheit wird daraus lernen und danach endlich alles besser machen; schau, die Delfine kehren sogar nach Venedig zurück – und mit heruntergefahrener Wirtschaft und eingeschränktem Flugverkehr bremsen wir immerhin den Klimawandel!
 
Falls Sie sich an einer dieser Ideen festgehalten haben, dann muss ich Ihnen nun mitteilen: leider alles Quatsch. Die Delfine in Venedig wurden in Wahrheit auf Sardinien gefilmt, das Klima hat sich nicht erholt, und es scheint auch niemand vorzuhaben, aus dem Ganzen irgendwas zu lernen. Moment mal, mögen Sie jetzt denken, aber hat die Europäische Union ihr Klimaziel für 2030 nicht gerade um 15 Prozent angezogen? Und hat nicht auch Hoffnungsträger Joe Biden am Earth Day international für mehr Klimaschutz geworben und sich im Namen der USA zu ambitionierten Emissionsreduktionen verpflichtet? Und hat Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem von ihm einberufenen Klimagipfel nicht folgende Worte gesagt: „Wir wollen die notwendige wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Pandemie auch für innovatives Wachstum nutzen, und das gerade im Bereich des Klimas“?


Alles richtig, leider verkündete aber gleichzeitig die Weltwetterorganisation: 2020 war eines der drei wärmsten je aufgezeichneten Jahre – 1,2 Grad über dem vorindustriellen Niveau. Auch die CO2-Emissionen stiegen fröhlich weiter, und, halten Sie sich fest, wir peilen Rekorde an! Laut der Internationalen Energieagentur werden wir dieses Jahr voraussichtlich den zweitgrößten CO2-Emissionsanstieg der Geschichte verzeichnen, nur noch getoppt von dem massiven Aufschwung vor zehn Jahren nach der Finanzkrise. Schuld daran ist der Kohlestrom, mit dessen Hilfe nun alle die Wirtschaft ankurbeln wollen – obwohl erneuerbare Energieträger längst günstiger wären. „In Deutschland ist Kohle heute noch ein wichtiger Energieträger“, sagte Merkel dann auch in ihrer Rede.


Vielleicht ist der Sinn der Pandemie also, uns zu zeigen, dass wir lernunfähig sind, selbst wenn die Lektion denkbar einfach ist. Schade eigentlich.


Der Suezkanal war dicht – denken wir endlich lokal

Es ist eine Meldung der Superlative: Eines der größten Containerschiffe der Welt verstopft  eine der wichtigsten Wasserstraßen der Welt. Die 400 Meter lange „Ever Given“ hat sich im Suezkanal verkantet. Solange sie feststeckt, tut das mit ihr auch die ganze globalisierte Welt. Denn durch den teils nur einspurigen Kanal fahren normalerweise mehr als fünfzig Schiffe pro Tag, rund zwölf Prozent des weltweiten Frachtvolumens wird hier pro Jahr durchgeschleust. Die gigantischen Schiffe transportieren alles, was der asiatische Raum so mit Europa und Amerika handelt, also so gut wie alles, was Sie und ich besitzen und was die Industrie täglich verarbeitet. Zu einem großen Teil ist das Öl. Der Ölpreis schnellte deswegen auch sogleich in die Höhe.


Pro Stunde blockierte die „Ever Given“ Waren im Wert von rund 340 Millionen Euro: Auf viele von ihnen kann die hiesige Industrie eigentlich keinen Tag warten, weil sie direkt nach der Ankunft verarbeitet werden sollten: Just-in-time-Produktion nennt sich dieses Verfahren, mit dem die Produzenten Lagerkosten sparen. Und auch wenn die „Ever Given“ endlich wieder flott ist, werden die Schiffe mit dem ganzen heiß begehrten Zeug an Bord sich noch quälend lange stauen und die Zeitpläne von Häfen und Flotten durcheinanderbringen. Obendrein verzögert sich der Rücktransport der ohnehin schon knappen leeren Container nach Asien, was zu weiteren Engpässen führen könnte. Das erste Schiff, das angesichts des Superstaus den 3.000 Seemeilen langen Umweg um das Kap der Guten Hoffnung einschlug, war ausgerechnet das Schwesterschiff der „Ever Given“ mit dem bezeichnenden Namen „Ever Greet“ – Tschüss, ihr Trottel, wir grüßen euch!


Am frühen Montagmorgen kam die Nachricht, es sei gelungen, die „Ever Given“ wieder in einen schwimmenden Zustand zu versetzen; geholfen hätten neben mehreren Schlepperbooten auch der Vollmond und die Flut. Man kann die absurde Havarie nun zum Anlass nehmen, sich zu fragen, ob es so schlau ist, Wohl und Wehe der Weltwirtschaft von einem dünnen Rinnsal in der ägyptischen Wüste abhängig zu machen. Ob es nicht schlauer wäre, statt tankerweise Zeug und Öl um die halbe Welt zu schippern, lokale Produkte zu fördern, erneuerbare Energien auszubauen – und damit wenigstens zu versuchen, die Klimaziele einzuhalten. Oder man kann sich über die Route der „Ever Given“ kurz vor ihrem Malheur lustig machen: Der Kapitän schrieb, während er auf die Einfahrt in den Kanal wartete, mithilfe seines Riesenfrachters die Form eines Penis mit Hodensäcken ins Wasser. Zugegeben: Das ist lustiger.


Ist jetzt Milch in der Milchstraße oder nicht?

Wir alle haben sie schon gehört, die Schreie der Verzweiflung. Sie hallen durch die Gänge der Supermärkte, ausgestoßen in der Nähe der Kühlregale. Sie stammen aus den Kehlen verlorener Menschen, die gänzlich verwirrt vor dem Milchsortiment stehen, weil sie unfähig sind, den Unterschied zwischen Kuhmilch und pflanzlicher Milch auszumachen. Ja, vielleicht zählten Sie selbst auch schon zu den Opfern des irreführenden Pflanzenmilchmarketings und verbrachten zähe Stunden mit dem vergeblichen Versuch, das richtige Produkt aus dem Regal zu wählen. Doch ich kann Ihnen verkünden: Rettung naht.

 

Denn die Europäische Union ist gerade dabei, ihre „Gemeinsame Agrarpolitik“ zu überarbeiten. Aus diesem Grund wird sie im März über den Änderungsantrag 171 abstimmen, der der Verwirrung in europäischen Supermarktregalen endlich ein Ende setzen soll. Gut, schon jetzt sind Begriffe wie „Milch“, „Käse“ oder „Joghurt“ einzig Produkten tierischen Ursprungs vorbehalten. Das heißt „Soja“, „Mandel“ oder der gerade boomende „Hafer“ dürfen nicht mit dem Wort „Milch“ kombiniert werden.

Deswegen steht auf den Verpackungen „Drink“, „Smelk“, „M*lk“ oder bloß „Hafer“ – in solchen Fällen vertrauen die Hersteller darauf, dass die Verpackung im Tetra Pak Indiz genug dafür sei, welcher Art der Inhalt ist. Immer noch viel zu irreführend,  finden Interessenvertreter wie der Deutsche Bauernverband, der „ehrliche“ Produktnamen fordert. Also gar kein Bezug mehr zu Milch, auch nicht als Verneinung. Denn wenn da steht: „enthält keine Milch“ oder „Alternative zu Milch“, dann versteht man ja gar nichts mehr. Wie jetzt, Milch oder keine Milch? Es sollte auch nicht mit „sahniger Konsistenz“ geworben oder der ökologische Fußabdruck von Milch und pflanzlichen Getränken verglichen werden. Am besten sollte auch die ganze Verpackung anders aussehen, blickt ja kein Mensch durch sonst.

 

Das Europäische Parlament stimmte dem Änderungsantrag bereits zu (demzufolge auch die „Milchnachahmung“, der „Milchersatz“ oder dergleichen verboten sind), lehnte aber gleichzeitig ein Verbot der Bezeichnungen „Burger“, „Steak“ oder „Wurst“ für vegetarische Produkte ab. Nun hängt es an der Kommission und dem Ministerrat. Ich hoffe jetzt einfach, dass diese Zeilen von den Entscheidungsträgern noch rechtzeitig gelesen werden, denn was ist denn bitte mit der Scheuermilch oder Gesichtsmilch – ist da jetzt Milch drin oder nicht? Und Milchglas, Milchzähne, die Milchstraße? Das muss alles unbenannt werden, versteht doch sonst niemand!


Grenzen zu? Aber doch nicht für Tiertransporte!

Haben Sie sich während dieser endlosen Pandemie schon mal bei dem Gedanken ,Ein Glück, dass dieses vermaledeite Virus zuerst in China aufgetaucht ist‘ ertappt? Denn zum einen ist China doch ein einfaches Feindbild, an der Volksrepublik haben wir eh schon allerhand auszusetzen – sei es der ganze Plastikramsch, die Unterdrückung von Tibetern und Uiguren oder das Verbot der freien Meinungsäußerung. Jetzt ist China auch noch an der globalen Pandemie schuld, reiht sich doch ganz schön ein. Zum anderen folgt aus diesem Gedanken, dass es an uns im Westen nicht gelegen hat, dass wir also weitermachen können wie bisher – also, wenn wir wieder raus dürfen, natürlich, denn wir sitzen ja jetzt alle brav drinnen und warten ab.

 

Das stimmt leider nicht so ganz, denn zwar haben wir Menschen das Reisen weitgehend eingestellt, die Tiere aber nicht. Die können da wenig für, denn sie werden von uns losgeschickt, und zwar nicht, um schöne Ausflüge im Ausland zu unternehmen, sondern einfach nur, um woanders zu sterben. Das ist so ein weiterer Auswuchs des globalisierten Kapitalismus: Jedes Land macht das, was es am gewinnbringendsten kann. Manche können besser Tiere aufziehen, und manche können sie eben besser töten. Weltweit exportiert keine Region mehr lebende Tiere als die Europäische Union, wie neue Zahlen der Welternährungsorganisation FAO nun belegen. Im Jahr 2019 überquerten demnach 1,6 Milliarden Tiere die Grenzen eines EU-Landes, die überwältigende Mehrheit davon war Geflügel – und das kam zum größten Teil aus Deutschland.

 

Natürlich denkt nun während der Pandemie niemand daran, damit aufzuhören. Kühe und Schweine, Schafe, Ziegen und Hühner werden weiterhin für viel zu lange Zeit in enge Transporter mit zu wenig Luft und zu wenig Wasser gezwängt. Das führt nicht nur ganz offensichtlich zu großem Leid bei den Tieren, nein, der Stress lässt sie auch schneller krank werden und sich gegenseitig anstecken.

 

Was eine Zoonose ist und wie verheerend es sein kann, wenn Krankheiten von Tieren auf uns Menschen überspringen, dürften wir ja mittlerweile alle gelernt haben. Gerade grassiert unter Geflügel in aller Welt wieder die Vogelgrippe. An dem Virus H5N1 sind in diesem Jahrtausend bereits rund 800 Menschen erkrankt, 60 Prozent davon starben. Nun also – während einer Pandemie! – fröhlich weiter Geflügel durch die Weltgeschichte zu karren, das ist ein bisschen so wie den zweiten Gifttrank zu bestellen, ohne den ersten bis zum Ende ausgetrunken zu haben.


Das CO2-Problem der deutschen Rechenzentren

Rechenzentren sind die fensterlosen Kellerräume, in denen sich unser digitales Leben materialisiert. Jede E-Mail, jede Videokonferenz und jede Online-Zahlung muss durch diese Nicht-Orte durch. Weil wir immer mehr ins Digitale verlagern, brauchen wir auch immer mehr solcher Rechenzentren. Und wer hätte das gedacht, aber Deutschland ist europaweit der größte Standort dafür und der drittgrößte der Welt. Vor allem in Frankfurt am Main wohnt also gewissermaßen ein beträchtlicher Teil des Internets. Das verursacht nicht nur Stolz bei den deutschen Wächtern über die Glasfaserkabel, sondern auch jede Menge Treibhausgasemissionen. Laut einer vom schwedischen Telekommunikationsausrüster Ericsson in Auftrag gegebenen Studie ist die Informations- und Kommunikationstechnologie für 1,4 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich.

 

Aber Deutschland wäre nicht das selbsternannte „Land der Ideen“, wenn es nicht auch für dieses Problem schon eine Lösung gefunden hätte. „Wir haben in Deutschland den Blauen Engel für Rechenzentren auf den Weg gebracht“, rühmte sich Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) kürzlich auf dem Digital-Gipfel der Bundesregierung. Vergeben wird der schon seit 2016 bei reduziertem Energieverbrauch, dem Verzicht auf klimaschädliche Kühlung und gut ausgelasteter Technik. Klingt machbar. Klingt nach etwas, wo das Umweltministerium mit seinen eigenen Rechenzentrum mit gutem Beispiel vorangehen könnte.

 

Das dachte sich auch Anke Domscheit-Berg, die netzpolitische Sprecherin

der Linksfraktion, und fragte nach. Die Antwort: Keines der neun Rechenzentren des Umweltministeriums trägt den Blauen Engel. Überhaupt nur eines

aller 177 Rechenzentren der gesamten Bundesverwaltung tut das, und zwar das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie. Das ist nun doch eine bestürzende Bilanz, zumal die Bundesregierung seit vier Jahren mit einem Budget von mehr als drei Milliarden Euro vergeblich versucht, ihre IT zu modernisieren – so ein Blauer Engel müsste sich da doch im Vorbeigehen mitnehmen lassen. „Dieses Milliardengrab funktioniert einfach nicht“, urteilt Anke Domscheit-Berg.

 

Die Politikerin und ihr Mann Daniel, ehemaliger Wikileaks-Sprecher, haben übrigens ihre ganz eigene Lösung gefunden: Sie haben sich in den Keller ihres Hauses in Brandenburg selbst ein Rechenzentrum gebaut. Na, wäre das nicht was für die nächsten Wochen daheim – Modelleisenbahn raus und Rechenzentrum rein? Auch das ließe sich ja – umweltfreundlich – mit kleinen Filzbäumchen dekorieren.


Grundeln aus der Ostsee essen, das ist echter Klimaschutz

Diese Woche jährt sich das Pariser Klima-Abkommen zum fünften Mal. Sie erinnern sich? Nach elendig langen Verhandlungen hatten sich die Delegierten auf der 21. Klimakonferenz 2015 endlich geeinigt und sich sogleich frohlockend, ja weinend in den Armen gelegen. Was damals als „historischer Schritt“ gefeiert wurde, könnte man heute einen „Rohrkrepierer“ nennen. Denn kaum eine der entscheidenden Nationen hat sich bislang an die Klimaziele gehalten, die USA sind sogar wieder ausgetreten.


Das hat nichts mit Ihnen zu tun, weil Sie in einem wohlhabenden Land mit angenehm gemäßigtem mitteleuropäischen Klima leben? Nun, den Zahn muss ich Ihnen leider ziehen. Daran mögen Sie sich bei der jetzigen Winterkälte womöglich schlecht erinnern, doch auch Deutschland wird von Hitze heimgesucht – und zwar schon jetzt über das verträgliche Maß hinaus. Das fasste ein Verbund internationaler Wissenschaftler in dem gerade veröffentlichten Lancet Countdown in Zahlen: Demnach starben 2018 in Deutschland rund 20.200 über 65-Jährige, weil es zu heiß war. Nur in China und Indien gab es den Forschern zufolge im gleichen Jahr mehr Hitzetote – nicht prozentual, sondern in absoluten Zahlen.


In Ihnen ruft es immer noch leise: „Immerhin kann man jetzt auch an Deutschlands Küste vernünftigen Badeurlaub machen“? Auch der Zahn muss leider raus. Denn des Klimawandels Wege sind zuweilen unergründlich, will heißen: Er löst manchmal Dinge aus, mit denen kein Mensch gerechnet hätte, so auch in der Ostsee. Weil die immer wärmer wird, vermehren sich in ihr Vibrionen. Das sind Bakterien, die bei nichts ahnenden Badenden schwere Wundinfektionen auslösen können, in seltenen Fällen enden die sogar tödlich. Ein Forscherteam vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung fand nun heraus, wie die Bakterien es durch den kalten Winter schaffen: in den Körpern der Schwarzmundgrundeln. Die kleinen Bodenfische haben selbst eigentlich nichts in der Ostsee zu suchen, sondern reisten als blinde Passagiere im Ballastwasser von Frachtschiffen ein.

Das Problem ließe sich lösen, wenn wir die Grundeln einfach aufäßen, nur sind sie unter Anglern unbeliebt, sie sprechen von „vergrundelten“ Angeltagen – noch! Denn Rettung naht von den Anglerverbänden, die Kochrezepte in Umlauf bringen, um die Schwarz- mundgrundel schmackhafter zu machen. So sieht die Antwort auf den Klimawandel aus – Petri Heil!


„Klima vor acht“ statt „Börse vor acht“– nur zu, ARD!

Gucken Sie denn im Fernsehen die Börsennachrichten? Falls ja: Wirklich, weil Sie sich für die Börse interessieren? Oder doch eher aus Versehen, weil Börse vor acht in der ARD eben um kurz vor acht und damit kurz vor der Tagesschau läuft? Oder weil Sie es herrlich lustig finden, die Parodie von Martina Hill in dem (längst abgesetzten) Format Switch reloaded mit der originalen Anja Kohl abzugleichen? Aus der Parodie bleiben uns immerhin schöne Weisheiten wie: „Dem ganzen Stress kann man entgehen, vermeidet man es aufzustehen – an der Börse ist das nicht anders.“ Was aber bleibt uns vom Original? Das eingebrannte Bild der immer gleichen, ausgeschalteten Bildschirme im Hintergrund, die vermitteln sollen, dass man ganz nah dran ist, am Geschehen aber eben doch nicht – ist ja niemand da.

 

Diese tägliche Schalte zum verwaisten Parkett in Frankfurt am Main kann man als beruhigende Beständigkeit empfinden. Für die meisten ist das Treiben an der Börse aber vollkommen irrelevant, denn nur 15 Prozent der Menschen in Deutschland besitzen überhaupt Aktien, Tendenz sinkend. Warum sollten die restlichen 85 Prozent ihnen beim Handel damit zuschauen? Eine Gruppe von Aktivisten findet, sie sollten stattdessen etwas zu sehen bekommen, was sie alle betrifft, nämlich den Klimawandel. In ihrer Vorstellung soll aus Börse vor acht dann Klima vor acht werden. Per Crowdfunding hat die Gruppe schon 46.000 Euro eingesammelt, um die ersten Folgen aufzunehmen. Die ARD, die sich auf Drängen der Gruppe von ihrer 20 Jahre alten Börsentradition verabschieden soll, ist wenig begeistert und weist beflissen darauf hin, dass sich ja auch Börse vor acht regelmäßig mit den Zusammenhängen zwischen Ökonomie und Ökologie befasse.

 

So ganz unrecht hat die ARD damit nicht, denn die Börse thematisiert den Klimawandel längst – und zwar, indem sie auf ihn wettet. Anfang vergangenen Jahres titelte der US-amerikanische Finanznachrichtendienst Bloomberg: „US-Konzerne bereiten sich darauf vor, den Klimawandel zu monetarisieren“, und die Finanzplattform Marketwatch gibt „5 Tipps, wie Sie mit Ihren Börseninvestitionen vom Klimawandel profitieren“. Ökonomie und Ökologie – da haben wir’s doch.

 

Liebe ARD, jetzt muss ich vielleicht mal etwas klarstellen: Den 85 Prozent ist es herzlich egal, wie die anderen 15 Prozent selbst aus der nahenden Katastrophe ein Geschäft machen können. Sie würde vielmehr interessieren, wie man diese Katastrophe noch abwenden kann. In dieser Hinsicht ist es nämlich nicht kurz vor acht, sondern fünf vor zwölf, wenn Sie verstehen.


Potzblitz, der Mars schaut ausgerechnet jetzt hier vorbei

Dieser Tage ist uns der Mars so nahe wie selten. Die Erde wird genau zwischen dem Roten Planeten und der Sonne stehen, im günstigsten Moment ist der Mars dann nur noch 62 Millionen Kilometer von uns entfernt. Zugegeben, das ist immer noch sehr weit weg. Aber wenn die Sonne in diesen Tagen untergeht, dann wird der Mars deutlich erkennbar als roter Punkt am Himmel aufgehen. Er kommt in Sichtweite. Warum ich Ihnen das jetzt erzähle? Nun, finden Sie es nicht auch geradezu schicksalhaft, dass der Mars ausgerechnet dann bei uns vorbeischaut, wenn es auf der Erde immer ungemütlicher wird?

 

Das Covid-19-Virus nimmt uns erneut in den Würgegriff, weltweit brennen die Wälder stärker denn je, wegen der Gletscherschmelze droht ein Mega-Tsunami vor Alaska – und das alles darf erst als erste Vorboten noch viel größerer Katastrophen verstanden werden. Selbst im optimistischsten Verlauf der globalen Erwärmung wird es ungemütlich auf der Erde. Es wird also Zeit, sich nach Alternativen umzusehen.

 

Eine dieser Alternativen ist der Mars, ernsthaft. Den schlug der im Jahr 2018 verstorbene Astrophysiker Stephen Hawking mehrfach und mit Nachdruck als Ausweichplaneten für die Menschheit vor. „Für das Leben auf der Erde besteht die wachsende Gefahr, durch eine Katastrophe ausgelöscht zu werden, etwa durch eine plötzliche globale Erwärmung, einen Atomkrieg, einen genetisch veränderten Virus“, warnte er schon 2006. Also weg hier, und zwar schnell: In Hawkings Vision sollten schon bis zum Jahr 2025 Menschen zum Mars geschickt werden, damit es dort noch rechtzeitig was wird mit dem Aufbau einer neuen Kolonie, bevor auf der

Erde alles in die Binsen geht. Im vorauseilenden Gehorsam wollte das Vorhaben „Mars One“ dies schon bis 2023 schaffen: Vier Menschen sollten sich dann auf dem Roten Planeten eingerichtet haben. Öffentlichkeitswirksam hatte die niederländische Organisation Tausende Kandidaten gecastet, von denen sich dann vierzig Personen begleitet von einem Reality-TV-Format auf die Mission ohne Rückfahrkarte vorbereiten sollten. Nun ja, es ist nichts daraus geworden. Die – doch recht entscheidende – Frage des Transportmittels wurde nie ganz geklärt und das Unternehmen ging letztlich pleite.

 

Solche Auswanderpläne könnten Sie als Spinnerei abtun. Die Schlauen unter Ihnen werden dieser Tage aber Ihre Teleskope gen Mars richten – noch kommt man vielleicht günstig an Grundstücke. Die Langsamen unter Ihnen, tja, die müssen bis zur nächsten Gelegenheit im Jahr 2035 warten.


Das wird Ihnen den Atem verschlagen

Bevor Sie sorglos beginnen zu lesen: Ich empfehle für die Dauer dieses Textes die Luft anzuhalten, denn Sie werden sich während des Lesens fragen, was Sie da eigentlich einatmen. Und je weiter Sie kommen, desto weniger werden Ihnen die Antworten gefallen. Die Lesedauer dieses Textes dürfte etwa zweieinhalb Minuten betragen, das ist zu schaffen.

 

Mit jedem Atemzug nehmen Sie normalerweise größtenteils Stickstoff, etwas Sauerstoff  und sehr geringe Mengen Argon, Kohlendioxid, Wasserstoff und andere Edelgase auf. Das wäre die gute Luft. Dazu kommt noch die schlechte Luft, also etwa Abgase, Rauch oder Ammoniak.

 

Was Ihnen bislang aber noch niemand erzählt hat: Sie atmen auch jede Menge Pestizide ein, und zwar ziemlich egal wo Sie wohnen, ob neben einem konventionellen oder neben einem Bio-Acker, am Rande eines Naturschutzgebietes, im Bayerischen Wald oder mitten in Berlin. Das ist das Ergebnis einer vom Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft und dem Umweltinstitut München in Auftrag gegebenen Studie. An 163 über ganz Deutschland verteilten Messpunkten wiesen die Forscher unheimliche Cocktails von bis zu 34 Pestiziden auf einmal nach. Omnipräsent: das als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestufte Unkrautbekämpfungsmittel Glyphosat. Insgesamt fanden die Forscher 138 landwirtschaftlich genutzte Substanzen in der Luft, auf Baumrinden und in Bienenbrot. Falls Ihnen das schon den Atem verschlagen hat (schön weiter die Luft anhalten!), dann machen Sie sich auf das hier gefasst: 41 dieser Substanzen sind gar nicht in Deutschland zugelassen. Dazu zählen das zu DDR-Zeiten versprühte DDT oder das Insektizid Chlorpyrifos, das im Obstanbau in Süd- und Osteuropa eingesetzt wird.

 

Das alles zeigt: Pestizide verwehen viel weiter, als die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit behauptet. Diese ist für deren Zulassung zuständig. Über Glyphosat schreibt die Behörde etwa: „Ein Ferntransport durch die Luft kann ausgeschlossen werden.“

 

Vom Winde verweht wird wohl nichts so schnell, einmal versprüht, überdauern die Giftstoffe offenbar jahrzehntelang in der Natur und eben in der Luft. Egal wo Sie leben oder was Sie essen, Sie nehmen diese Stoffe jeden Tag in Ihren Körper auf. Glyphosat etwa wurde in einer anderen Studie im Urin von 99,6 Prozent der Probanden nachgewiesen.

 

Was das mit Ihnen macht, weiß niemand. Bevor Sie nun wieder einatmen daher ein freundschaftlicher Rat: Setzen Sie sich vorher eine Atemmaske auf, die dürften Sie aus anderem Anlass ja sicher zur Hand haben.


Die Zukunft ist nur einen Steinwurf entfernt

Der Weg in die Klimaneutralität ist ein weiter, und nun deutet sich an: Es könnte auch ein steiniger werden, und zwar im wörtlichen Sinn. Das große Problem der erneuerbaren Energien ist, dass sie nicht regelmäßig Strom liefern, sondern nur, wenn der Wind weht oder die Sonne scheint. Dann auch oft gleich zu viel, und wo der überschüssige Strom zwischengelagert werden kann, ist ein noch nicht gelöstes Problem.

 

Bislang benutzen wir zum Speichern von Energie Lithium-Ionen-Akkus. Deren Erfinder wurden dafür erst letztes Jahr mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Die Akkus sind aber recht teuer und das Lithium muss auf ziemlich unschöne Weise aus dem Boden gefördert werden. Doch die Zukunft ist schon einen Steinwurf voraus – bei der Suche nach billigen und einfachen Ansätzen landeten mehrere Forscher weltweit nun bei der trivialen Lösung: Stein.

 

Wissenschaftler der privaten Washington University in St. Louis in den

USA verkündeten unlängst stolz, im Baumarkt Ziegelsteine für 65 Cent

das Stück gekauft zu haben. Strom speichern die allerdings nicht einfach so: Die Forscher tränkten die Steine in einer Flüssigkeit, die Nanofasern des leitfähigen Kunststoffs Pedot enthielt, die sich dann in den Poren der Steine absetzten. In Hauswänden verbaut könnten sie zum Beispiel tagsüber Energie aus Solarzellen aufnehmen und nachts damit die Notbeleuchtung versorgen.

 

Bislang bringt die Backstein-Batterie allerdings nur eine grüne Leuchtdiode zum Leuchten – eine Leistung, die jedes Kind mit einem Apfel, zwei Centmünzen und zwei Unterlegscheiben nachbauen könnte. Die Forscher räumten dann auch ein, dass die Energiedichte der Backsteine bei gerade mal einem Prozent der Dichte von Lithium-Ionen-Batterien liege. Und dass man sie bei einer stärkeren Ladung ummanteln müsste, damit man beim Anlehnen an die Wand keinen elektrischen Schlag bekommt. Und dass die Behandlung die Steine womöglich etwas instabil mache. Hm.

 

Etwas weiter ist da schon der Windkraftanlagen-Hersteller Siemens Gamesa. Der schüttete letztes Jahr in Hamburg 1.000 Tonnen Vulkansteine auf, die überschüssige Windenergie speichern sollen. Professionell nennt sich das Schüttgut-Technologie. Man spinne das jetzt einfach mal weiter: Ziegelsteine als Smartphone-Akkus, Autos voller Wackersteine, statt Powerbanks dann Powerstones. Klar, wir hatten

uns die Zukunft etwas leichtfüßiger vorgestellt – ich empfehle jetzt schon mal die Anschaffung einer Sackkarre, vor dem großen Ansturm.


Mit Pusteblume: Die Ölindustrie will klimaneutral werden

Für die Ölindustrie gibt es ein Existenzproblem: Die Europäische Union möchte in Zukunft klimaneutral sein. Naturgemäß kann ein Industriezweig, der sein Geld mit klimaschädlichem Öl verdient, kein Teil dieser Zukunft sein. Nein, in dieser Zukunft  sollen Fahrzeuge mit Elektroantrieb statt Verbrennungsmotor die Straßen dominieren, in dieser Zukunft soll man nicht mehr zur Tankstelle rechts rausfahren, sondern zur Ladesäule.

 

Zugegeben, es ist äußerst fraglich, ob sowohl die Autobauer als auch das Verkehrsnetz bis zum Jahr 2050 so weit sein werden – dem Jahr, zu dem die EU ihre Klimaneutralität anstrebt. Aber wie lange es auch dauern wird, die Ölindustrie darf berechtigte Sorgen haben, dass sie in diesem Szenario nicht mehr vorgesehen ist.

Deswegen verkündete sie nun kühn: Wir können bis zum Jahr 2050 selbst klimaneutral sein, ha! Wie zur Hölle sie das anstellen will? Mit neuen wundersamen CO2-armen Kraftstoffen. Vorgestellt haben das vergangene Woche der deutsche Mineralölwirtschaftsverband MWV und der europäische Dachverband Fuels Europe. Letzterer vertritt Mitglieder wie BP, Shell und Total,alle drei standen schon mit Umweltverschmutzungen durch Lecks an ihren Ölplattformen in den Schlagzeilen. Ihr neues Image bebildern sie nun mit Bananenschalen, Pusteblumen und Blüten im Gegenlicht. Diese Fotos sollen zeigen, woraus der Sprit von morgen gemacht wird: aus Agrar- und Forstabfällen, Produktionsrückständen, Algen und hydrierten Pflanzenölen. Später sollen die sogenannten E-Treibstoffe hinzukommen. Das ist jetzt etwas verwirrend, denn das „E“ steht in diesem Fall nicht für „Elektro“, sondern für „erneuerbar“, im Sinne von erneuerbare Energien. Die sollen nach dem Willen der Ölindustrie nicht direkt ins Auto eingespeist werden, sondern einen recht aufwendigen Umweg gehen: Mit ihrer Hilfe soll Wasserstoff gewonnen werden, sowohl grüner aus Elektrolyse als auch blauer aus Erdgas. Unter Einsatz von CO2 – das idealerweise aus der Luft stammt – soll aus dem Wasserstoff  dann der Treibstoff  erzeugt werden. Alles etwas kompliziert, deswegen hat Fuels Europe die E-Treibstoffe bei seiner Collage mit den Bananenschalen und Blümchen auch lieber weggelassen.

 

Genauso wie das CCS-Verfahren, die Einlagerung von CO2 unter der Erde, mit der die Ölindustrie alle übrig bleibenden Emissionen elegant unter den Teppich kehren möchte. Das ist aus sehr vielen Gründen bedenklich – noch nicht genug erforscht, gefährlich, Platzprobleme –, aber im Sinne der Emissionsreduktion sticht vor allem ein Gegenargument heraus: Es ist unfassbar energieaufwendig. Das Umweltbundesamt schreibt: „Der Einsatz der CCS-Technik erhöht den Verbrauch der begrenzt verfügbaren fossilen Rohstoffe um bis zu 40 Prozent.“ Und irgendwie ging es doch darum, diesen Verbrauch jetzt zu reduzieren, oder?

 

Die Ölindustrie sieht aber nun darin ihren Weg in die Zukunft. Denn die flüssigen Kraftstoffe könnte sie einfach gegen das Öl eintauschen. Fuels-Europe-Generaldirektor John Cooper sagt, er sei ganz überrascht gewesen, wie viel von einer konventionellen Raffinerie sich auch für die Herstellung der neuen Kraftstoffe eigne. Gut, bis zu 650 Milliarden Euro werde die Umstellung dann schon noch kosten.

 

Zugegeben, viel Geld, deswegen soll die Politik nun helfen. Jetzt wo die Raffinerien das Öl nicht mehr haben wollen, soll sie zum Beispiel die CO2-Preise dafür hochschrauben, damit dann alle die schönen neuen Kraftstoffe haben wollen.

 

Nun ja, der Versuch der Ölindustrie, nicht in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, wirkt ein wenig verzweifelt. Und teuer. Und noch dazu umständlich. Oder, wie das Umweltministerium gegenüber dem Handelsblatt kurz und knapp urteilt: „nicht sinnvoll“.


Die Elbe wird jetzt tiefer gelegt, und keiner weiß warum

Ein recht unscheinbares Gewächs ist der Schierlings-Wasserfenchel. Die krautige Pflanze trägt bescheidene weiße Blüten, ihre rautenförmigen Blätter werden als wenig individuell beschrieben, sondern eher verwechselbar, sie gleichen denen des Schwarzstieligen Streifenfarns. Kurzum: Würden Sie den Schierlings-Wasserfenchel sehen, so liefen Sie höchstwahrscheinlich achtlos an ihm vorbei. Damit hätten Sie seinen wahren Glanz jedoch verkannt, denn der ist rein historischer Natur, also für das Auge unsichtbar. Das unscheinbare Gewächs aus der Familie der Doldenblütler hätte nämlich beinahe der Stadt Hamburg ihre Identität gekostet, genauer gesagt ihren Hafen – und ohne Hafen ist Hamburg nichts.

 

Denn der Schierlings-Wasserfenchel war es, an dem sich die letzte juristische Auseinandersetzung um die Elbvertiefung aufhängte. Ja, auf dieser schnöden Pflanze ruhte die ganze Hoffnung der Umweltschützer von BUND, Nabu und WWF, die neunte Vertiefung der Elbe am Ende doch noch verhindern zu können.

 

Denn der Schierlings-Wasserfenchel wächst außer in der Tideelbe nirgendwo sonst auf der Welt, er ist laut der Roten Liste der Farn- und Blütenpflanzen Deutschlands vom Aussterben bedroht, und die EU-Fauna-Flora-Habitat-Richtline gebietet der Bundesregierung, ihn zu schützen. BUND, Nabu und WWF klagten deshalb gegen das geplante Abbaggern seines Habitats – doch vergebens. Ende vergangener Woche wies das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig die Klage ab und beendete damit einen 18 Jahre währenden Streit, in dem sich die Baggergegner zuletzt verzweifelt an den letzten Fenchelhalm geklammert hatten. Nun muss der Schierlings-Wasserfenchel in zwei alte Absetzbecken der Hamburger Wasserwerke umziehen – und einer sündhaft teuren Vertiefung Platz machen, von der äußerst fraglich ist, ob sie der Hansestadt den ersehnten Geldregen bescheren wird. Für 700 bis 800 Millionen Euro – in etwa so viel wie die Kosten der Elbphilharmonie – soll die Fahrrinne so weit vertieft werden, dass auch Containerschiffe mit einem Tiefgang von bis zu 13,50 Metern den Hafen erreichen können. Blöd nur, dass im Verlauf des 18-jährigen Streits die Schiffe längst größer geworden sind, als man sich das damals ausgemalt hatte. Und zwar nicht tiefer, sondern länger und breiter.

 

Schiffe, die zusammen 90 Meter breit sind, passen auf der Elbe nicht aneinander vorbei. Das derzeit größte Handelsschiff der Welt ist 61 Meter breit. Also wird es eng auf der Elbe. Die ist und bleibt nun mal ein Fluss, sie wird niemals ein Meer. Genau aus dieser Überlegung heraus ist 2012 denn auch der Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven eröffnet worden. Wilhelmshaven liegt am Meer. Schiffe können da so groß sein, wie sie wollen. Hamburg wollte sich ursprünglich sogar an dem Hafen beteiligen – bis der CDU-Politiker Ole von Beust 2001 Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt wurde und lieber einen eigenen großen Hafen wollte.

 

Seitdem setzt der Jade-Weser-Port Staub an. 2018 schlug er gerade mal knapp 656.000 Container um, statt 2,7 Millionen, für die er gebaut wurde. Die Wilhelmshavener werden den Hamburgern jetzt einfach noch ein paar Jahre lang zuschauen müssen, wie sie ihren Fluss zum neunten und voraussichtlich letzten Mal ausbaggern, um das Unvermeidliche noch ein bisschen weiter hinauszuzögern: das Ende des drittgrößten Hafens Europas.

 

Das ist bitter für Hamburg, zu dem das Ankertattoo auf dem Oberarm gehört wie zu keiner anderen Stadt. Immerhin für den Schierlings-Wasserfenchel aber sind das doch rosige Aussichten: Von seiner neuen Heimat aus wird er sich bald ungestört über den gesamten Hamburger Hafen ausbreiten können. Und als Tattoo sähe er vielleicht gar nicht so schlecht aus.


Rettet die Boni der tapferen Macher in der Autoindustrie!

Haben Sie den Schock mittlerweile verdaut, von einer globalen Pandemie überrollt worden zu sein und nicht zu wissen, wann ihr Leben wieder in normalen Bahnen verlaufen wird? Gut, dann können Sie ja jetzt wieder kaufen, kaufen, kaufen – der Wirtschaft zuliebe.

 

Das zumindest erwartet die Automobilbranche nun von Ihnen. Denn auch sie leidet unter der Krise: Sie musste zwischenzeitlich die Produktion einstellen und Absatzeinbußen hinnehmen. Und da sollen Sie ihr jetzt raushelfen und wichtige Arbeitsplätze retten. Weil sie aber im Gefühl hat, dass Ihnen der Schock noch in den Knochen sitzt, will sie, dass Sie der Staat mit Kauf- und Abwrackprämien dabei unterstützt – mit Steuergeldern, also letztlich dann auch Ihrem Geld. Die Autohersteller selbst würden indes gerne weitermachen wie bisher, also auch Dividenden an Aktionäre und Boni an Manager zahlen. 2019 war für die Autobranche das beste Jahr seit zehn Jahren – das sähe jetzt einfach doof aus, wenn man an solchen Dingen nun anfinge zu sparen, findet Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie. Die CDU-Frau war einst Staatsministerin bei Bundeskanzlerin Angela Merkel.

 

Jetzt müsste man meinen, dass die Politik angesichts solcher Dreistigkeit einfach mal Nein sagt. Die drei Autoländer Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen tun sich damit aber schwer. Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD) etwa kündigte an, das Prämienmodell schnellstmöglich zu prüfen. Er selbst sitzt übrigens im Aufsichtsrat von Volkswagen, was im vergangenen Jahr mit 163.000 Euro vergütet wurde, abzuführen an das Land Niedersachsen. Das muss mit der Aussage des Ministerpräsidenten natürlich nichts zu tun haben.

 

Kritisch ist an den verlangten Prämien vielmehr etwas ganz anderes: Sie sollen nach Wunsch der Autobranche nämlich auch für Modelle mit klimaschädlichen Verbrennungsmotoren gezahlt werden. Die Begründung dafür von Daimler-Vorstandschef Ola Källenius: Man solle es jetzt nicht allzu kompliziert machen. Umwelt hin oder her: „Hier geht es zunächst um die Ankurbelung der Wirtschaft.“ Auch Hildegard Müller findet eine reine Förderung von E-Autos falsch, weil die einfach noch nicht für jeden Verbraucher das Passende seien – „Denken Sie an die, die lange Strecken zurückzulegen haben.“

 

Und da muss man ihr recht geben: Wie weit wird man fahren müssen, wenn man in Zeiten des Klimawandels vor einer Überflutung, einem Sturm oder einem Waldbrand flieht? In so einer Situation möchte wohl niemand gerne nach der nächsten Ladesäule für sein E-Auto suchen. Da muss man jetzt einfach mal praktisch denken.


Was soll man sagen, die Bahn ist jetzt pünktlicher

Es gibt auch Lichtblicke in diesen dunklen pandemischen Zeiten. Und nein, dazu zählen leider nicht die Delfine, die sich angeblich wieder 

in die sauberen Kanäle Venedigs zurückgewagt haben sollen. Falls Sie diese anrührende Meldung auch zu der Proklamierung von Kalenderweisheiten wie „Jetzt kann die Natur mal durchatmen“ veranlasst hat, dann muss ich dieses Blatt jetzt leider abreißen: Venedigs Wasser ist zwar klarer geworden, die Bilder der Delfine stammen jedoch aus Sardinien.

 

Dafür konnte aber jemand anders durchatmen, und zwar die Deutsche Bahn. Zugegeben, die ist nicht ganz so niedlich wie Delfine, aber auch ihr sei in Zeiten der Krise Sympathie gegönnt. Sie vermeldete nun jedenfalls – und der Stolz war deutlich aus diesen Zeilen zu lesen: Ihre Fernzüge seien während und wegen der Corona-Pandemie im März deutlich pünktlicher ans Ziel gelangt. Und zwar kamen 82,4 Prozent der Züge – und damit 4,1 Prozent mehr als im März 2019 – rechtzeitig an. Als einen wichtigen Grund nennt die Bahn, dass das Aus- und Einsteigen an vollen Bahnsteigen wegfiel.

 

An dieser Meldung finde ich gleich mehrere Aspekte erstaunlich: Zum einen heißt das, dass immer noch 17,6 Prozent der Züge unpünktlich kamen, das heißt eine Verspätung von mehr als sechs Minuten hatten, denn alles darunter gilt noch als pünktlich. Und zum anderen heißt das, dass die Deutsche Bahn genau dann besonders gut funktioniert, wenn niemand mit ihr fährt.

 

Ich weiß nicht, wie man der Bahn das jetzt am besten beibringen soll, aber die Fahrgäste sind ja gewissermaßen der Grund, warum es die Bahn überhaupt gibt. Da wäre es doch mehr als wünschenswert, wenn der Betrieb so ausgerichtet wäre, als würden sie auch mitfahren – und dann auch aus- und einsteigen.

 

In anderen Ländern klappt das schließlich auch, und da muss ich gar nicht die Extrembeispiele Japan, China und Taiwan heranziehen (wo 99 Prozent der Züge pünktlich kommen, eine Minute zu spät gilt da schon als unpünktlich!), auch unsere Nachbarn in der Schweiz und in den Niederlanden kriegen das besser hin.

Wenn die Corona-Krise mal vorbei ist und wir uns wieder in öffentliche Verkehrsmittel trauen, dann sollte die Deutsche Bahn besser für uns bereit sein. Denn wollen wir die nächste und viel größere Krise – die Klima-Krise – verhindern, dann wäre es gut, wenn möglichst viele Menschen Zug fahren. Können sie sich nicht auf die Bahn verlassen, nehmen sie lieber das Auto oder Flugzeug. Gut, dann kommen die Züge wenigstens pünktlich.

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