Die Climate Foundation verspricht, den Klimawandel mit hochmodernen Algenfarmen aufhalten zu können. Ein Besuch beim Modellversuch auf den Philippinen lässt Zweifel aufkommen, ob sie das Versprechen halten kann – oder das überhaupt will
Hundertzwanzig Meter unter dem Meer. Eine weiße Metallplattform an der Oberfläche, in einiger Entfernung eine weitere kleinere. Auf der silbrigen Wasseroberfläche zwischen ihnen spiegelt sich pastellrosa das Morgenrot. Sie drücken auf die Knöpfe, Sam auf der großen, Gorio auf der kleinen Plattform, ein helles Surren setzt ein. Fünfzehn Minuten ab jetzt.
Wir haben die Welt so stark verändert, dass wir es nicht mehr rückgängig machen können. Also haben wir ein Wort dafür erfunden: Anthropozän. Es ist eine Kombination aus den altgriechischen Wörtern für „Mensch“ und „neu“ und bezeichnet das neue Zeitalter des Menschen. Man kann unterschiedlich ausgelegen, was das genau bedeutet. Die US-amerikanische NGO Climate Foundation versteht darunter ein „vom Menschen verursachtes Massenaussterben“, wie sie auf ihrer Webseite schreibt. Aber: „Wir haben festgestellt, dass wir Lösungen haben. Wir haben herausgefunden, dass wir mit der richtigen Hilfe das Massenaussterben stoppen können, wir können den Kohlenstoffgehalt senken, wir können den Klimawandel umkehren“, und ja, das schreibt sie dann wirklich auch: „Wir können die Erde retten.“
Vierzig Meter: Sicherheitsstopp, Gorio und Sam lassen ihre Knöpfe los, das Surren verstummt. Sie verständigen sich per Walky Talky. Alles ok? Alles ok, knarzt es zurück. Eine Krabbe läuft seitwärts über die große Plattform, das sei ihr Haustier, sagt Sam. Dann drücken sie wieder auf die Knöpfe.
Wie rettet man die Erde? Auf diese Frage gibt es viele Antworten (Google-Sucherergebnisse: über fünf Millionen) und höchstwahrscheinlich sind mehrere davon richtig, vielleicht auch gar keine. Brian von Herzens Antwort jedenfalls ist: mit Algen. Er ist Gründer und Direktor der Climate Foundation und ein Mann der Visionen: Auf hoch technisierten Plattformen will er gewissermaßen die Ozeane aufforsten, mit Algenwäldern. Mit ihnen will er alles auf einmal lösen: die Menschen ernähren, die Ökosysteme rehabilitieren und die Klimakrise beenden, Marine Permakultur nennt er sein System. Letztes Jahr gewann seine Climate Foundation mit der Idee neben 14 anderen Teams den mit einer Million Dollar dotierten Milestone Award des XPRIZE, der von Elon Musk und dessen Musk Foundation gesponsert wird. Über vier Jahre wetteifern die Teams nun in einem Rennen um den Hauptpreis darum, wer am effektivsten Kohlenstoffdioxid (CO₂) aus der Atmosphäre ziehen kann. Es geht um 100 Millionen Dollar – laut Eigenbeschreibung ist es der „größte Förderpreis der Geschichte“.
Null Meter. Sam und Gorio lassen ihre Knöpfe los. Es wird still. Zunächst passiert nichts, doch dann taucht er träge an der Wasseroberfläche auf wie der Rücken eines Wales: ein tausend Quadratmeter umfassender Ring, von dem aus sternförmig unzählige Leinen in die Mitte gespannt sind. Das Grün der Algen, die daran wachsen, leuchtet nun im Licht der aufgehenden Sonne an der Wasseroberfläche. Am Horizont springen vier Delfine aus dem Wasser, als seien sie für diesen Moment dorthin bestellt worden. Das hier ist Brian von Herzens Idee zur Rettung der Erde.
Wir sind nach Cebu City auf der philippinischen Insel Cebu im Westpazifik geflogen, von dort aus rund eine Stunde mit dem Auto der Küste Richtung Norden gefolgt und dort morgens um fünf Uhr mit einem Motorboot etwa zehn Minuten hinaus aufs Meer gefahren, um diese Idee zu sehen. Aber wer nicht hier ist, ist Brian von Herzen. Der gebürtige Amerikaner lebt in Queensland an der Ostküste Australiens, in Vorgesprächen hatte er sich ausweichend dazu geäußert, wie oft er die Philippinen besucht. Vor Ort erfahren wir, dass er seit Beginn der Pandemie nicht mehr hier war. „Stellen Sie sich eine Pizza mit zwölf Stücken und einem Durchmesser von vierzig Metern vor“, hatte er mir im Voraus den Ring beschrieben. Und dann hatte er noch geraten, Schnorchelausrüstung mitzunehmen, denn sein Team würde uns mit raus nehmen aufs Wasser, um den Ring von der Nähe aus zu erkunden. „Für mich ist es, als wäre man im Weltraum und arbeitet auf einer Raumstation, man schaut nach unten, und unter einem sind tausend Fuß blaues Wasser.“
Tatsächlich ist es ein eigenartig haltloses Gefühl über mehr als zweihundert Meter tiefem Wasser zu schnorcheln. Der Hightech-Ring an der Oberfläche hat die Patina eines alten Schiffswracks, denn wie jeden Gegenstand, der ihm zu lange überlassen wird, hat ihn sich das Meer zu eigen gemacht. Der Ring ist nicht nur übersäht von Algen, auf seinen Rändern wachsen unzählige Entenmuscheln, die aus ihren Öffnungen sogenannte Cirren fächerartig pulsierend herausstrecken.
Dieses Konstrukt hing vor wenigen Minuten noch in hundertzwanzig Metern Tiefe, in der das Wasser 24 Grad kühl ist und nicht rund dreißig Grad wie an der Oberfläche. Und es ist eine Tiefe, in der das Wasser voller Nährstoffe ist, im Gegensatz zur Oberfläche. Beides brauchen die Algen zum Wachsen, die Kühle und die Nährstoffe. Deswegen senken sie den Ring jeden Abend mit der Energie aus den Solarpaneelen über der Plattform hinab und holen ihn jeden Morgen vor Sonnenaufgang nach oben, denn eines gibt es in der Tiefe nicht: Licht. Und Licht brauchen die Algen, wie jede Pflanze, um Photosynthese zu betreiben. Dabei bilden sie aus CO₂ und Wasser mithilfe von Lichtenergie Zucker und Sauerstoff. Das CO₂ ist danach nicht mehr in der Luft, sondern in der Alge. Und genau das ist der Grund, warum sie hier diesen ganzen Aufwand betreiben: um den Algen beim CO₂-Speichern zu helfen, um „den Klimawandel umzukehren“. Dachten wir zumindest.
„Der Einsatz der Kohlendioxidabscheidung zum Ausgleich schwer abbaubarer Restemissionen ist unumgänglich, wenn Netto-Null-CO₂- oder Treibhausgasemissionen erreicht werden sollen“, schreibt der Weltklimarat in seinem sechsten Sachstandsbericht. Will heißen: Wir werden nicht umhin kommen, CO₂ auf irgendeine Weise der Atmosphäre zu entziehen und zu speichern, wenn wir die globale Erwärmung stoppen wollen. Das können wir auf sehr viele unterschiedliche Weisen versuchen: Wir können Bäume pflanzen, die das Gas speichern; zerkleinerte Steine auf dem Boden ausstreuen, die es absorbieren; es aus dem Rauch von Industrieanlagen abspalten und unter die Erde pressen; die Ozeane mit Eisen düngen, damit sie mehr davon aufnehmen – oder eben massenhaft Algen pflanzen. Jede dieser Methoden ist allerdings umstritten, weil sie Risiken bergen oder das Klimagas womöglich nicht lange genug speichern. Die Algen machen da keine Ausnahme.
Ihr Potential wäre aber enorm, wie mir der 64-jährige Brian von Herzen bei einem Videocall erklärt – als seinen Hintergrund hat er eine Unterwasseraufnahme gewählt, auf der Fische durch einen Algenwald schwimmen. „Jeder große Ozeanstaat hat eine ausschließliche Wirtschaftszone, die sich mindestens 300 Kilometer von der Küstenlinie entfernt erstreckt“, sagt er. „Sie ist meist leeres Meer und oft viel tiefer als hundert Meter. Alle Gewässer, die tiefer als hundert Meter sind, sind für die marine Permakultur zugänglich.“ Algen sind so etwas wie die außer Acht gelassene Wunderwaffe der Meere.
Eine Gruppe Forscher*innen nennt sie „the elephant in the Blue Carbon room“. Ihr Vorteil: Sie wachsen schnell, Riesentang etwa kann bis zu sechzig Zentimeter an nur einem Tag wachsen. Und die Algen auf der Plattform der Climate Foundation wachsen je nach Art sogar doppelt bis dreimal so schnell wie Algen, die ständig an der Oberfläche bleiben, sagt von Herzen. Er denkt groß: „Wir könnten die Beziehung der Menschheit zum Meer verändern, von der Extraktion zur Regenerierung.“ Was er damit meint: Unsere bisherige Beziehung zum Meer ist eine des Nehmens – Meerestiere, Pflanzen, Salz, Bodenschätze. Mit den Algenfarmen will Brian von Herzen nun etwas zurückgeben. Dabei gibt es zwei Probleme: Algen halten genau wie Korallen keine hohen Wassertemperaturen aus. Und: Das Ganze muss sich irgendwie rechnen.
Die Philippinen gehören mit mehr als 7.600 Inseln zu den größten Inselstaaten der Welt. Seit langer Zeit legen die Menschen an ihren Küsten mit einfachsten Mitteln Algenfarmen an: Sie spannen Plastikbänder in küstennahen Gewässern und knoten Setzlinge etwa der roten Gracilaria, der braunen Golftange oder der grünen Caulerpa daran. Als Auftrieb nutzen sie leere Plastikflaschen, denn sie haben kein Geld für professionelleres Equipment. Eine Analyse des philippinischen Büros für Fischerei und aquatische Ressourcen (BFAR) ergab, dass eine einen Hektar große Farm mit der Rotalge Eucheuma mit einem Produktionszyklus von 45 Tagen umgerechnet nur knapp 140 Euro verdient. Trotzdem zählen Algen zu den Top-3-Exportprodukten des philippinischen Fischereisektors, denn landesweit bauen mehr als eine Millionen Menschen auf diese Art Algen an. Ein Teil davon landet in bunten Plastikkörbchen auf den Fischmärkten, angestrahlt von grellen LED-Lichtern und von surrenden Plastikventilatoren frisch gehalten. Viel mehr Geld lässt sich aber mit dem absoluten Exportschlager Carrageen machen, das aus Rotalgen gewonnen wird. Die meisten von uns konsumieren es täglich als Verdickungsmittel und Stabilisator unter der Zusatzstoffnummer E 407 in Zahnpasta, Süßigkeiten, Brotaufstrichen oder Sahne.
Doch das alles könnte ein Ende haben, denn das Meer wird heißer, als es die Algen ertragen können. Sie wachsen dann nicht mehr oder entwickeln die Ice-Ice-Krankheit, bei der sie – wie Korallen – bleichen. Seit 2011 brach die Algenproduktion auf den Philippinen um zwanzig Prozent ein. „Die Algenzucht litt im Wesentlichen unter klimawandelbedingten Ereignissen wie Wetterstörungen und Taifunen, der Ice-Ice-Krankheit und dem Anstieg der Meeresoberflächentemperatur“, schreibt das BFAR.
Die höheren Temperaturen bringen den natürlichen Wasserauftrieb zum Erliegen, der normalerweise das kältere, nährstoffreiche Tiefenwasser mit dem Oberflächenwasser vermischt. Es gibt dann zwei Möglichkeiten: Entweder man bringt die Algen in das tiefe Wasser, oder man bringt das tiefe Wasser zu den Algen. Die Climate Foundation experimentiert in ihrem aktuellen Modellversuch mit Ersterem, Deep Cycling nennt sie das. Dass sie auch vorhat, das Wasser zu den Algen zu bringen, verneinen mehrere Gesprächspartner. Die Methode ist höchst umstritten – sie nennt sich Artificial Upwelling und wird als Geoengineering eingestuft, also als eine technische Methode, die das Klima künstlich beeinflusst. Wir sollen erst später herausfinden, dass die Climate Foundation davor nicht zurückscheut.
Weil beide Methoden bislang nur in wenigen vereinzelten Projekten auf der Welt ausprobiert werden und das Budget notorisch knapp ist, muss das Team der Climate Foundation auf den Philippinen erfinderisch werden: Die Energie aus den Solarpaneelen speichern sie in 56 Motorradbatterien, die sie in weißen Boxen vor Feuchtigkeit schützen; die Bojen an den Rändern des Rings sind ausrangierte Auto-Kühlflüssigkeittanks, die mit Gas gefüllt sind, damit sie unter dem großen Wasserdruck in der Tiefe nicht platzen; die Hammermühle, mit der sie die geernteten Algen zermahlen, ist eigentlich für Mais gedacht und begann wegen des Meerwassers zu rosten, weswegen sie den Trichter nun aus rostfreiem Stahl nachbauen. Und ständig geht etwas schief: Am Vortag wurde das Team draußen auf der Plattform von einem Gewitter überrascht und sprang aus Angst vor einem Blitzschlag ins Wasser (nun planen sie einen Blitzableiter zu installieren), in den nächsten Tagen wird der Ring plötzlich schief im Wasser hängen und eine der Batterien wird in Rauch aufgehen.
„Alles, womit wir arbeiten, ist recycelt, alt oder zweckentfremdet“, sagt Sam Donohue, ein 37-jähriger Australier und Leiter der Abteilung Technik, Beschaffung und Bau der Climate Foundation. Bevor er Brian von Herzen zufällig hier auf den Philippinen kennenlernte, hatte er in Gold- und Silberminen auf der ganzen Welt gearbeitet. „Aber seitdem ich Brian getroffen habe, hatte ich die Möglichkeit, etwas Gutes für die Erde zu tun“, sagt er und zieht an seinem türkisfarbenen Vaper. Zwischen Hämmern, Sägen und Flexen ist dann und wann das Zwitschern der Wellensittiche zu hören, die in kleinen Käfigen neben dem Materiallager gehalten werden. Acht Hunde und fünf Welpen springen den Arbeitern ständig zwischen den Beinen umher, liegen in Werkzeugkisten und auf Fischernetzen.
Einige Tage später sind wir mit Pepe Tubal auf der Nachbarinsel Bohol unterwegs, Touristen besuchen hier die wundersam rund geformten Chocolate Hills und die dort lebenden Koboldmakis, winzige Äffchen mit riesigen Augen. Viele Menschen leben auf der Insel in einfachen Bambushütten, auf der Straße reitet uns ein Mann auf einem Wasserbüffel entgegen. Tubal zeigt uns hier, wie sie aus den Algen Düngemittel herstellen und an die lokalen Reis- und Fischfarmer vermarkten. Dass Algen gut für das Pflanzenwachstum sind, wussten schon die Römer und Kelten, Extrakte wie das der Climate Foundation werden weltweit von Norwegen bis Australien hergestellt.
Wir treffen den Fischfarmer Crestito Garcia, der die Algen in das Futter seiner Fische und Krabben mischt und seither bessere Erträge habe, wie er uns erzählt. Und wir treffen die 66-jährige Reisfarmerin Gliceria Limbaga vor ihrem giftgrünen Reisfeld, sie ist auf den Algendünger umgestiegen und benutzt seitdem sogar keine Pestizide mehr, da das Düngemittel auch für die Reispflanzen schädliche Insekten fern halte. Vorher benutzte sie wie im konventionellen Reisanbau üblich chemischen Stickstoffdünger, der nicht nur dem Boden schadet, sondern auch dem Klima. Eine Studie der britischen Universität Cambridge ergab, dass Stickstoffdünger rund fünf Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verursachen. Der Versuch auf Limbagas und anderen Feldern zeige, dass der Reis mit dem Algendünger besser und schneller wachse, erklärt Pepe Tubal. „Wir produzieren nicht genug Reis hier auf den Philippinen“, sagt er. „Wenn alle Reisbauern unser Produkt verwenden und ihre Erträge steigern, brauchen wir, denke ich, keinen Reis mehr zu importieren.“ Das ist die Erfolgsgeschichte, die die Climate Foundation erzählen möchte.
Kurz bevor wir uns verabschieden erzählt Tubal dann aber fast beiläufig, dass die Climate Foundation in der Region auch mehrere Artificial-Upwelling-Projekte plant. Sie wolle sie nah an der Küste entlang von Riffen installieren, erzählt er. Auf erneutes Nachhaken räumen das dann auch Donohue und von Herzen ein. Artificial Upwelling lässt sich zu „Künstlicher Auftrieb“ übersetzen, von Herzen findet aber schon die Bezeichnung falsch: „Es ist nichts Künstliches daran, einen natürlichen Prozess auf regionaler Ebene wiederherzustellen.“ Das würden sie tun, indem sie mit hunderte Meter langen Rohren Wasser an die Oberfläche pumpen. Nur könnten sie damit mehr Schaden anrichten als helfen.
Es sei falsch, die Komplexität natürlicher Auftriebsereignisse mit künstlichen gleichzusetzen, mahnt die Heinrich-Böll-Stiftung in einer Analyse. Tut man das, können die Folgen verheerend sein. „Der Ozean ist stark geschichtet und das ist gut so, weil er in der Tiefe unheimlich viel CO₂ speichert“, erklärt mir Andreas Oschlies, Leiter der Forschungseinheit Biogeochemische Modellierung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel, auch er hat im Videocall einen Meereshintergrund, nur ohne Algen. „Dieses CO₂ wollen wir eigentlich gar nicht nach oben bringen. Wenn wir in die Klimamodelle Artificial Upwelling reinbringen, zeigt sich aber, dass zusammen mit den Nährstoffen ganz viel CO₂ hochgepumpt wird.“
Dieses gelangt dann an der Oberfläche zurück in die Atmosphäre und könnte den Gewinn an neu gespeichertem CO₂ zunichte machen. „Und alle Nährstoffe, die diese Algen aufnehmen, fehlen woanders“, fährt Oschlies fort. „Also hat man dann irgendwo einen Algenfarmer, der verdient prächtig Geld, aber nebenan oder vielleicht einen halben Kontinent weiter weg, fangen die Fischer plötzlich weniger, weil da wegen weniger Nährstoffen weniger Algen wachsen und dadurch weniger Fische da sind.“
Die Liste der Probleme ist noch länger: Das Tiefenwasser kühle zwar sogar die Atmosphäre, verdränge gleichzeitig aber auch das warme Oberflächenwasser nach unten, das dort lebenden Pflanzen und Tieren schaden könne. Der Eingriff kann die Blüte unerwünschter giftiger Algen begünstigen, zu Sauerstoffarmut im Wasser führen und Meeresströmungen verändern, was wiederum Wettermuster beeinflussen kann. Und ein positiver Effekt kann den Algenwäldern auch zum Verhängnis werden: Weil sich Meerestiere in ihnen wohlfühlen, vermehren sie sich in ihrer Umgebung, das haben mehrere Studien bestätigt. Einige dieser Tiere bilden Kalziumkarbonatschalen, ein Prozess, bei dem CO₂ freigesetzt wird. „Das kann zehn bis dreißig Prozent der CO₂-Aufnahme der Algen wieder zunichte machen“, sagt Oschlies. Als Mitglied einer internationalen Expertengruppe, die die Vereinten Nationen berät, kam er zu dem Schluss: „Diese Methode hat [...] nur ein sehr begrenztes Potential zur Kohlenstoffbindung und das Risiko erheblicher Nebenwirkungen.“
Brian von Herzen kennt diese Risiken. Er sagt: „Ob es uns gefällt oder nicht, wir haben den Planeten bereits durcheinander gebracht. Jedes Mal, wenn Sie in einem mit fossilen Brennstoffen betriebenen Flugzeug fliegen oder mit dem Auto fahren, ist das ein Akt des Geoengineering – wir wissen, welche Folgen es hat, wenn wir mehr Kohlenstoff in die Atmosphäre ausstoßen, und trotzdem tun wir es weiterhin.“ Was er damit sagen will: Wir gehen ein viel größeres Risiko damit ein, den Planeten wissentlich weiter zu zerstören, als bei dem Versuch, ihn zu retten. Und dann sagt er auch noch: „Im schlimmsten Fall, wenn es ein Problem mit dem Auftrieb gibt, können wir die Pumpen abschalten, und alles wird wieder so, wie es vorher war.“
So leicht ist das leider nicht. Simulationen des GEOMAR zeigten, dass die einmal gestarteten Pumpen nicht mehr gestoppt werden dürfen – weil sie sonst sogar zu einem deutlichen Anstieg der CO₂-Konzentration und Oberflächentemperaturen führen würden. Das GEOMAR vergleicht das in einer Publikation mit Goethes Zauberlehrling, der die Geister, die er ruft, nicht mehr loswird. Trotzdem erforscht auch das GEOMAR Artificial Upwelling neben anderen Methoden der marinen CO₂-Entnahme und -Speicherung, das Forschungsministerium fördert das mit 26 Millionen Euro.
An unserem letzten Tag auf den Philippinen fahren wir nochmal mit dem Team raus zur Plattform, die Algenleinen – genauer gesagt sind es schlauchförmige Netze – müssen gewogen werden. Die Mitarbeiter der Climate Foundation knoten sie dafür einzeln vom Ring ab, schwimmen mit ihnen zum Wiegen zur Plattform und knoten sie anschließend wieder fest. Noch experimentieren sie mit unterschiedlichen Algenarten, um herauszufinden, welche am besten mit dem Deep Cycling zurechtkommen. Und noch müssen sie den Ring manuell hoch und runter fahren, bald soll das automatisch passieren. Dann wollen sie Algenfarmer*innen, die wegen der zu hohen Temperaturen keine Algen mehr anpflanzen können, darin trainieren, die Ringe zu bewirtschaften. Einen Hektar sollen sie mal groß werden, das ist ungefähr so groß wie ein Fußballfeld. Die Farmer*innen sollen die Systeme von der Climate Foundation pachten, im Gegenzug kauft die ihnen die gesamte Ernte ab und produziert daraus Biodünger und Carrageen, nichts soll ungenutzt bleiben.
Doch ähnlich wie ein Wald an Land speichert auch ein Algenwald nur so lange CO₂, wie er nicht abgeerntet und weiterverarbeitet wird. Um möglichst viel CO₂ langfristig aus der Atmosphäre zu ziehen, müsste die Climate Foundation die Algen zum Meeresboden herabsinken lassen, wo sie gefressen, zersetzt oder von Sedimenten begraben würden. Je tiefer die Algen absinken, desto länger wird das CO₂ gespeichert, bevor es wieder zur Oberfläche hochsteigt. Bei einer Tiefe von tausend Metern dauert es rund tausend Jahre, bei 300 Metern nur rund hundert Jahre. Die Deep-Cycling-Plattform vor der Küste Cebus hängt in 220 Meter tiefem Wasser.
Ließe die Climate Foundation aber alle Algen zum Meeresboden sinken, dann könnte sie mit ihnen kein Geld verdienen. Den Verkauf von CO₂-Zertifikaten hat sie 2010 modelliert und ist damals zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich nicht rechnet. Also wird nur das CO₂ derjenigen Algen gespeichert, die einfach so herunterfallen, „wie Blätter von den Bäumen“, so beschreibt die Climate Foundation das. Wie viele Algen herunterfallen, wurde zwar mal gemessen, richtig eindeutige Ergebnisse haben sie aber nicht. „Wir schätzen, dass zwanzig bis vierzig Prozent der Algen während des Wachstums von der Plattform abfallen“, sagt Brian von Herzen. Die Rettung der Welt, sie ist eine Schätzung.
Das Team in Cebu hat gerade neue T-Shirts aus glänzendem Trikot-Stoff bekommen, überall, wo wir hinkommen, werden sie hektisch übergezogen. Darauf wachsen Algen vom Saum und von den Ärmeln nach oben, auf dem Rücken steht „Food Security, Ecosystems, Carbon Removal“. In dieser Reihenfolge. Ist der Klimaschutz also die dritte Wahl? „Konzentrieren wir uns darauf, dass wir die Menschheit in den kommenden vom Klimawandel durcheinander gebrachten Jahrzehnten ernähren können“, sagt Brian von Herzen. „Wir können die Anzahl der Algen messen, die von der Plattform nach unten sinkt. Wir können die Kohlenstoffspeicherung und die durch landwirtschaftliche Maßnahmen vermiedenen Emissionen messen und diese Vorteile dokumentieren. Aber wir müssen für Ernährungssicherheit und eine Regeneration der Ökosysteme sorgen, damit wir gesunde Ökosysteme an Land und im Meer für kommende Generationen regenerieren.“
Als ich einen der Mitarbeiter frage, wie die Menschen in der Umgebung auf die Climate Foundation reagieren, sagt er: „Sie haben den Eindruck, dass wir im Algengeschäft tätig sind.“ Wer könnte es ihnen verdenken.
der Freitag 2023
FOTOS Fabian Weiß
Die Serie „Blue New Deal“ ist ein Projekt von Svenja Beller, Julia Lauter, Martin Theis, Fabian Weiss und der Freitag. Das Projekt wird vom European Journalism Center (EJC) über den Solutions Journalism Accelerator finanziert. Dieser Fonds wird von der Bill & Melinda Gates Foundation unterstützt.