O'zapft is

 

Auf einer kleinen dänischen Insel produziert „Is fra Skarø“ Eis, das nicht nur lecker, sondern sogar gesund sein soll. Das Geheimnis: Betulae succus, Birkensaft


„You can’t buy happiness, but you can buy ice cream, and that’s kind of the same thing“, steht auf einem Schild in der kleinen Eisdiele auf der kleinen Insel in dem kleinen Land. Darum geht es Martin Jørgensen und Britta Tarp im Grunde, um das Glück.

 

Sie leben in Dänemark – laut dem World Happiness Report der Vereinten Nationen aktuell das zweitglücklichste Land der Welt – auf der winzigen Ostseeinsel Skarø. Der Name bedeutet so viel wie „trockenes Land am Rande der Fahrrinne“, so steht es zumindest in der Inselbroschüre, tatsächlich aber ist es so fruchtbar, dass einige Bauern hier Landwirtschaft betreiben. Früher lebten einmal zweihundert Menschen auf der Insel, jetzt sind es noch weithin unsichtbare 26. Im Sommer ist der Hafen voller Segelboote, und die Fähren sind voller Urlauber, dann helfen Freiwillige gegen Kost und Logis in der Eisdiele und auf dem Hof aus. Im Winter aber wird es still auf der Insel, ganz so, als müsse sie sich vom Rummel in den warmen Monaten erholen.

Nur die Eismaschine, die läuft fast jeden Tag und produziert „Is fra Skarø“, Eis von Skarø. Dass Jørgensen und Tarp ausgerechnet eine kleine Eisfabrik in die alte Scheune ihres Bauernhofes bauten, war mehr eine Notwendigkeit als ein gezielter Plan. Aber um das zu verstehen, müssen wir erst mal über Bäume reden, genauer gesagt: über Birken.

 

Davon gibt es auf Skarø ungefähr fünfzig. „Im Herbst nimmt der Baum all seine Energie aus den Blättern und speichert sie in den Wurzeln, um damit im Frühling wieder neue Blätter produzieren zu können“, erklärt Jørgensen. Er steht jetzt vor der Birke hinter seinem Haus, es ist ein scheußlich nasskalter Märztag, der Niederschlag wechselt zwischen Regen und Schneeregen. Wasser tropft dem 53-Jährigen aus den Haaren, läuft über seine Brille und die roten Wangen. Aber der Frühling beginnt, ganz zaghaft, und die Birke vor ihm bereitet sich nun darauf vor, ihre fein gezackten Blätter sprießen zu lassen. Dafür holt sie die Energie aus den Wurzeln zurück und transportiert sie in die Zweigspitzen, mit Wasser. Würde man ein Stethoskop an den weißen Baumstamm legen, dann könnte man es in seinem Innern rauschen hören.

 

Martin Jørgensen hat stattdessen einen Akkubohrer dabei. Kaum hat er ein Loch in den Stamm gebohrt, rinnt Birkensaft heraus und vermischt sich mit dem Regen. Dieser Saft war es, der ihn und seine Frau zum Eis brachte. Er enthält Zucker, Säuren, Kalium, Magnesium, Calcium sowie Aminosäuren. Mit diesen Nährstoffen bildet der Baum seine Zellen. Jørgensen wollte damit einen Saft für Krebspatienten entwickeln, den diese nach der Chemotherapie bekommen sollten, um die Heilung zu unterstützen. Es sollte eine wohlschmeckende und nährstoffreiche Abwechslung zur garstigen Medizin sein, etwas, das die Erkrankten vielleicht sogar ein wenig glücklich macht. Um den Saft haltbar zu machen, musste er ihn einfrieren. Diese Notwendigkeit war es, die ihn zur Eiscreme führte. Entwicklungspartner war das Kopenhagener Rigshospitalet.

 

Während er darauf wartet, dass der Birkensaft die Splitter aus dem Bohrloch spült, springen ihm die schlappohrigen Hündinnen Pil und Cif um die Füße. Es riecht nach den Zwiebeln, die er hier in seinem Garten angepflanzt hat, der Wind frischt auf. Cif buddelt ein Loch nach dem anderen und wühlt ihre braun-weiße Schnauze in die nasse Erde, „dummer Hund“, sagt Jørgensen und schüttelt belustigt den Kopf. Mit einem Gummihammer schlägt er einen Plastikhahn in das Bohrloch, durch den Schlauch daran rinnt der Birkensaft in einen weißen Eimer am Boden. So ein Eimer sei schnell voll, bis zu 300 Liter gebe ein Baum pro Saison, ohne dass es sein Wachstum beeinflusse, das zeige die Erfahrung.

 

Den Saft gießt seine Frau Britta Tarp in die Eismaschine, roh, so wie er aus dem Baum geflossen ist. Während Jørgensen in seinem dicken blauen Overall draußen durch den Regen stapft, macht sie drinnen das Eis zusammen mit ihrer einzigen Angestellten, Rita Gudaitiene, sie stammt aus Litauen. „Es ist ein Gebäude im Gebäude“, sagt Tarp, von außen ein altes Bauernhaus, von innen eine moderne Fabrik. Vor zwei Jahren haben sie die komplett modernisiert, das sei doppelt so teuer gewesen wie der Kauf des Hofes. Nun haben sie eine Produktionskapazität von einer Tonne Eis pro Tag. Die Kaufentscheidung für den Hof hatte ihr Mann damals ganz allein gefällt. „Manchmal ist es leichter, Vergebung zu bekommen als Erlaubnis“, erklärt er das. Er habe einfach gewusst, dass seine Frau diesen Ort lieben würde.

Und nun steht sie als Leiterin der Produktion jeden Tag mit weißer Arbeitskleidung und Haarnetz an dem Ort, den sie liebt, und macht Eiscreme, die sie liebt. „Ohne Eis könnte ich nicht leben“, sagt sie. Rita Gudaitiene schüttelt den Kopf, „nein, ich mag kein Eis“, konstatiert sie trocken. Außer Rote Johannisbeere, hach, ein Genuss, aber das produzierten sie nicht mehr, erzählt sie mit einem vorwurfsvollen Blick in Richtung ihrer Chefin, die beiden Frauen lächeln.

 

Nun ist ein Klassiker dran: Erdbeereis. Süßlicher Geruch und ein brauner Klecks auf weißer Steppjacke zeugen von den Sorten davor, Schokolade und Mokka. Der Saft der aufgetauten Erdbeeren tropft blutrot auf den grauen Fußboden, als Britta Tarp sie zusammen mit dem Birkensaft in einen silbernen Kasten schüttet, der ein wenig an eine Toplader-Waschmaschine erinnert. Die Zutaten sind bio und, wenn möglich, regional, Zusatzstoffe gibt es keine, und die Menge an Zucker konnten sie im Vergleich zu anderem Eis reduzieren, dank des süßen Geschmacks des Birkensafts. „Ich hoffe, dass unser Nachbar nächstes Jahr die Hälfte unseres Erdbeerbedarfs decken wird“, sagt die 52-Jährige.

 

Durch einen blauen Schlauch wird die Eismasse zu einem sich drehenden Rondell gepumpt, das die Frauen mit Schalen und Deckeln bestücken. Ruck. Schale. Ruck. Eis. Ruck. Deckel. Ruck. Fließband. Immer im Kreis. Es rappelt. Es zischt.

 

Dass das Eis, das da nun hübsch portioniert in den Schalen landet, stärker nach Erdbeeren schmeckt als Erdbeeren selbst, liegt nicht nur an der geschmacksverstärkenden Wirkung des Birkensafts. Jedes Eis enthalte Algen, genauer Zuckertang, erklärt Martin Jørgensen. Auch das verstärke den natürlichen Geschmack der Zutaten, es funktioniere aber nur mit dem Tang, den sie aus der Gegend beziehen, von einer der Nachbarinseln. In diesen Gewässern sei der Salzgehalt im Wasser nämlich so gering, dass dort gerade noch Zuckertang wachsen könne, weiter nördlich hingegen schmecke er viel zu salzig.

 

„Davon zu leben, mit der Natur zu kooperieren, finde ich unglaublich toll“, sagt er nach dem Abendessen. Die Teller sind leer, die nassen Hunde lümmeln zu seinen Füßen, im Holzofen knackt es. Jørgensen kommt ins Erzählen. Forschung, sagt der Autodidakt, sei ein wesentlicher Teil seines Lebens. Er betrieb mit seiner Frau eine Pflanzenschule für Heilkräuter und forscht nun mit seiner Firma Biosynergy auf Skarø, zum Beispiel, unter welchen Bedingungen Pflanzen einen optimalen Ertrag bringen, auch den Birkensaft nimmt er unter die Lupe. Dem werden nämlich noch allerlei Kräfte nachgesagt, so soll er gegen Hautunreinheiten, Blutarmut, Gicht, Rheuma, Entzündungen und Haarausfall helfen, klinisch belegt ist davon aber nichts. Hier weitgehend unbekannt, ist Birkensaft etwa in Skandinavien und Osteuropa Teil der Volksmedizin. Er habe durch Recherchen und Labortests herausgefunden, berichtet Jørgensen, dass der Baumsaft womöglich auch gegen Birkenallergie helfen könne, aber klinische Studien seien aufwendig und teuer. „Wahrscheinlich wäre es gewinnbringender, in Marketing statt in Forschung zu investieren“, sagt er. Dafür ist er wohl zu wenig Geschäftsmann.

 

Auch ohne viel Marketing findet „Is fra Skarø“ seit mehr als zehn Jahren Abnehmer auf der ganzen Welt: Softeis und Fitnesseis mit weniger Fett und mehr Proteinen für die Niederlande, Gourmeteis für die Ukraine, eigene Sorten für den Flug Kopenhagen-Singapur von Singapur Airlines, besonders proteinhaltiges Eis für ein Altenheim in Grönland. Deutsche Eisliebhaber müssen derzeit noch einen Urlaub auf der Insel einplanen, um in den Genuss zu kommen.

 

 

Das Eis für Krankenhäuser werde eines Tages den größten Anteil ausmachen, da ist sich Martin Jørgensen sicher. Es sei nur schwer, auf diesen Markt zu kommen, weil die großen Lebensmittelkonzerne mit ihren Proteindrinks die Preise drückten. Er beginnt die Teller abzuräumen. „Nachtisch, jemand?“

greenpeace magazin 2017