Die Feinde des Schäfers

 

Der Wolf kehrt zurück. Hirten sind besorgt und wollen den Herden spezielle Schutzhunde zur Seite stellen. Ausgerechnet im grün regierten Baden-Württemberg soll das nicht erlaubt sein  


Wenn Sven de Vries sich erhebt, werden die Lämmer zu seinen Füßen unruhig. Geht er durch den Wollvorhang in den Bauwagen, in dem er seine Küche hat, springen sie ihm hinterher, ihre kleinen Hufe rutschen dabei auf dem PVC-Boden immer wieder ab. Hat er seine Tasse draußen vergessen, eilen sie ihm nach, zurück durch den Wollvorhang und dann wieder rein. So geht das hier den ganzen Tag.

 

Sven de Vries ist gerade so etwas wie ihre Mutter. Er zieht die Lämmer mit der Flasche auf, weil ihre leiblichen Mütter sie verstießen. Noch eine Aufgabe mehr, als hätte er nicht schon genug zu tun.

 

De Vries ist 35 Jahre alt, seit neun Jahren ist er Schäfer. Sein Körper ist sehnig, sein Gang langsam. Er beugt den langen Rücken leicht nach vorn, als würde er bergauf laufen. Eigentlich wäre er jetzt oben am Südostrand der Schwäbischen Alb, nur er, Hütehund Bebi und 900 Schafe. Laufen, jeden Tag laufen, morgens den Pferch mit dem elektrischen Zaun abbauen und abends einen neuen für die Nacht aufstellen, den schwarzen Schlapphut auf dem Kopf.

 

Aber diesen Sommer muss er hier unten beim Stall bleiben, rund zwei Autostunden westlich von München. Ein paar Bauwagen stehen hinter der Scheune, in einem davon wohnt er, ein richtiges Haus gibt es nicht. Wegen personeller Engpässe muss er dieses Jahr das Heu selbst machen, die Hunde und die 200 Schafe versorgen, die hiergeblieben sind, alles am Laufen halten. Zehn Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.

 

Seine Freundin kommt viel zu kurz, und seit Jahren hört er die gleiche Musik, weil er keine Zeit hat, sich mit neuer zu beschäftigen. Und doch ist er nicht rückwärtsgewandt. De Vries twittert im Netz unter dem Namen „Wanderschäfer“, er erzählt in einem Blog von seiner Arbeit und postet Bilder von Schafen mit dem Hashtag #Schafpostkarte. 7.000 Menschen folgen ihm. Es lässt sie von der Natur und dem Schäfer-Sein träumen, wenn sie in den Großstadtbüros an ihren Schreibtischen sitzen.

 

Albtraum canis lupus

 

Das Allgäu ist hier sanft geschwungen, an klaren Tagen sieht man die Alpen am Horizont. De Vries hat aber keine Zeit für die Schönheit der Landschaft. Seinen Alltag fasst er so zusammen: „Manchmal frage ich mich, kann ich Schäfer-Sein überhaupt noch mit Sven-Sein vereinbaren?“

 

Er dreht sich eine Zigarette ohne Filter. Eigentlich trinke er kaum Bier, aber nach diesem heißen Tag auf dem Feld könne er schon mal eins vertragen. Die Lämmer schnuppern an der Pizza auf seinem Schoß, Border Collie Bebi drängelt sich vor. „Die Schafe sind halt auch meine Freunde“, sagt de Vries. „Wenn ich mir jetzt vorstelle, dass der Wolf regelmäßig in meiner Herde aufräumt, dann lass ich’s.“

 

Manchmal hat de Vries Albträume von einem leeren Stall, von einem Transporter voller Schafe, der nirgendwo hinfährt. Die Vorstellung aufzuhören, hält er kaum aus. Aber nun diese Sache mit den Herdenschutzhunden – vielleicht hat er irgendwann schlicht keine andere Alternative, als den geliebten Beruf aufzugeben, wenn jetzt auch noch canis lupus zu seinen Problemen hinzukommt.

 

Der Wolf war lang ein Wesen, das man fürchtete, eines, das man mit Mythen dämonisierte, das am Ende der Märchen zu sterben hatte. Der Mensch tat alles dafür, dieses Tier auszurotten. Heute hingegen steht der Wolf auf der Roten Liste als eine vom Aussterben bedrohte Art. Jede Sichtung wird penibel dokumentiert. Neue Welpen werden medial bejubelt, und die Existenz des Wolfs mit internationalen Konventionen geschützt. Aus Polen und dem Alpenraum wandert er nun zunehmend wieder nach Deutschland ein. Bundesländer, in denen der Wolf bisher noch nicht wieder gesehen wurde, heißen jetzt „Wolfserwartungsländer“. Ja, wir erwarten den Wolf wie einen lang ersehnten Gast.

 

Dieser Sinneswandel kann nur nichts an der Tatsache ändern, dass der Wolf ein Raubtier ist. Er will Fleisch fressen. Von Menschen hält er sich fern, aber Nutztiere frisst er gern, und das wollen die Besitzer jener Tiere heute immer noch genauso wenig wie in den Jahrhunderten zuvor. Viele Schäfer würden ihren Herden deswegen gern Beschützer zur Seite stellen, die den Wolf zur Not in die Flucht schlagen könnten: Herdenschutzhunde. Es wäre eine erprobte und ökologische Möglichkeit, die Tiere vor dem Räuber zu schützen.

 

Aber ausgerechnet hier, im grün-schwarz regierten Baden-Württemberg, macht es die Politik den Schäfern schwer. Die Landesregierung unter Winfried Kretschmann legt die bundesweite Tierschutz-Hundeverordnung strenger aus als die restlichen Bundesländer. Die Herdenschutzhunde bräuchten eine Schutzhütte und einen witterungsgeschützten Liegeplatz mit wärmegedämmtem Boden. „Schutzhütte und Liegeplatz müssen dem Hund die Möglichkeit geben, auf niedrige oder hohe Außentemperaturen angemessen zu reagieren und nachteiligen Witterungseinflüssen auszuweichen“, schreibt die Stabsstelle der Landesbeau ragten für Tierschutz.

 

Stromführende Elemente in den Schutzzäunen seien zudem problematisch, wenn der Hund diese in aufgerichtetem Zustand mit seinen Vorderpfoten berühren könne. So gilt es laut Verordnung für Hundezwinger, also gelte dasselbe für einen Schafpferch. Das macht es den Schäfern praktisch unmöglich, einen Herdenschutzhund zu halten, denn weder können sie eine Hütte mit sich herumziehen, noch können sie auf den Strom am Zaun verzichten, sonst könnten die Schafe ausbrechen.

 

Als man die Tierschutz-Hundeverordnung 2001 verabschiedete, dachte noch niemand an den zurückkehrenden Wolf. Und schon gar nicht an Hunde, die diesen vom Vieh fernhalten sollen. Sonst hätte man womöglich eine Sonderregelung getroffen, denn ein Herdenschutzhund lässt sich nicht mit einem Chihuahua gleichsetzen.

 

Die häufig zum Herdenschutz eingesetzten Rassen – der französische Pyrenäenberghund und der Maremmano Abruzzese – stammen beide aus Gebirgen. Sie sind groß und robust, relativ anspruchslos, was ihr Futter betrifft. Und vor allem: Schlechte Witterung macht ihnen nichts aus. Sie brauchen keine Wärmedämmung. Das sagen die vergangenen Jahrhunderte, in denen Herdenschutzhunde für ihre Aufgabe gezüchtet und eingesetzt wurden. Das sagen die Schäfer, die seit jeher mit ihnen arbeiten – und das sagen auch ranghohe Politiker wie Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Umweltministerium: „Die Herdenschutzhunde wissen mit den stromführenden Zäunen umzugehen. Schäfer beklagen, dass sie Hütten bereitstellen müssen, die der Hund nicht nutzt.“

 

Hannes Huber vom Naturschutzbund (NABU) drückt es noch etwas plakativer aus: „Einem Herdenschutzhund zu sagen, wenn es draußen ein bisschen kühler wird oder der Wind geht, soll er sich bitte in die Hütte zurückziehen – das ist, wie wenn Sie einem Steinbock sagen: Geh nicht zu nah an den Abgrund ran.“ Dass Herdenschutzhunde den widrigsten Bedingungen trotzen, ist unter jenen, die sich damit auskennen, Common Sense. Nur in Baden-Württemberg bleibt man stur. „Der Tierschutz ist eigentlich unteilbar. Was für einen Haushund gilt, gilt auch für einen Herdenschutzhund“, betont Peter Hauk (CDU), Minister für Landwirtschaft und Tierschutz.

 

Laufen baden-württembergische Schafe und Ziegen also bald Gefahr, von zugewanderten Wölfen gerissen zu werden? Aus Tierschutzgründen? Dahinter stehen noch größere Fragen: Wie viel Natur wollen wir uns leisten? Wie natürlich soll diese Natur sein? Und wer entscheidet das?

 

Den Wolf erschossen

 

In Baden-Württemberg wurden erst drei Wölfe gesichtet. Zwei fand man überfahren auf. Erst Anfang Juli wurde ein Raubtier tot aus dem Schluchsee im Hochschwarzwald gezogen. Es war zuvor an mehreren Orten aufgetaucht – und dann wohl Opfer von Wilderern geworden, wie man aus seiner Schussverletzung rekonstruierte. Der erschossene Wolf zeugt auch von Angst. „Einen Wolf zu erschießen ist eine Straftat“, schimpfte Umweltminister Franz Untersteller. „Ich bedauere es sehr, dass ein Mensch das Leben dieses Geschöpfes mit Gewalt ausgelöscht hat.“ Über natürlichen Wolfsschutz sagte der Grüne freilich nichts.

 

Sven de Vries will nicht zum Gewehr greifen, er will aber auch vorbereitet sein, wenn die ersten Wölfe kommen. „Meine Hauptaufgabe ist es, meine Schafe zu beschützen“, sagt er. Deswegen startete er eine Bundestagspetition mit der Forderung, die Tierschutz-Hundeverordnung zu ändern. Er bekam Unterstützung von der agrarpolitischen Sprecherin der Linken und der Spitzenkandidatin der Piratenpartei. Doch es half nichts, er sammelte 4.433 Unterschriften, 50.000 hätte er für eine öffentliche Beratung des Petitionsausschusses gebraucht. Im Mai diskutierte der Agrarausschuss auf Antrag der Linken über eine Änderung der Verordnung. „Im Ergebnis wurde kein Änderungsbedarf an den Vorgaben der Tierschutz-Hundeverordnung gesehen“, teilt Michael Hauck, Sprecher des Landwirtschaftsministeriums, mit.

 

Nun überlegt Sven de Vries, das Verwaltungsgericht einzuschalten, um die strenge Auslegung anzufechten. Und einen Herdenschutzhund will er so oder so anschaffen. „Wenn das Veterinäramt dann Stress macht, müssen sie ihn mir wieder wegnehmen. Und das geht nicht ohne großes Tra-ra.“ Da setzt er auch auf seine Netzpräsenz als twitternder Wanderschäfer mit fester Fangemeinde.

 

Ortswechsel: Nicht weit von der Schweizer Grenze im südwestlichsten Zipfel Deutschlands, in St. Blasien im Südschwarzwald, liegen 35 Ziegen im Stall und dösen. Sonnenlicht fällt zu den Seitenfenstern herein und wird von dunklen Holzbalken verschluckt. Auch ein großer weißer Hund döst. Nun aber ist es Zeit, aufzustehen, zurück auf die Weide. Den ganzen Sommer verbringen die Ziegen dort, nur zum Melken kommen sie in den Stall. Und der Hund dann auch. Er ist immer da, wo die Ziegen sind. Immer.

 

Gemeinsam trotten sie zu der Stelle, an der Landwirt Holger Albrecht ihnen den Zaun geöffnet hat. Die Wiese fällt leicht ab, das saftige Grün kontrastiert mit dem Dunkelgrün der Kiefern ringsum. Hund Lewin, ein Maremmano Abruzzese, wird jeden, der sich dem Zaun zu sehr und zu lang nähert, verbellen, egal ob Wanderer oder Wolf. „Um seine Aufgabe richtig erfüllen zu können, braucht der Hund Aggressionspotenzial. Andererseits muss er auf die Menschen hören, mit denen er zu tun hat“, sagt Albrechts Frau Martina. Aggressiv sei Lewin aber nur gegenüber allen mit Fell.

 

Der Windberghof ist der einzige Hof im Windbergtal, erste Aufzeichnungen über ihn stammen aus dem 16. Jahrhundert. Martina und Holger Albrecht sowie dessen Bruder Oliver Albrecht restaurierten ihn über Jahre in Handarbeit. Nun versorgen sie sich hier weitgehend selbst und verkaufen Ziegenkäse, Ziegenfleisch, Ziegenwurst. Die Tiere können im ganzen Tal weiden, keine befestigte Straße stört die Idylle. Neben den Ziegen, Kühen, Pferden und Katzen leben hier auch Lewin und sein Bruder Lori. Sie sind Teil des Pilotprojektes „Herdenschutz in der Praxis“, mit dem der NABU Baden-Württemberg und der Landesschafzuchtverband verschiedene Schutzmaßnahmen erproben wollen.

 

Neben den beiden Maremmani Abruzzesi testen zwei weitere Betriebe vier Pyrenäenberghunde, drei weitere Betriebe erproben ausschließlich spezielle Schutzzäune, im September sollen dann die Ergebnisse bekannt gegeben werden.

 

Bewacher der Zicklein

 

„Als die Hunde anfangs zu den Ziegen kamen, war natürlich erst mal Riesenpanik im Stall“, erzählt Holger Albrecht. Aber schon bald wurden die Ziegen übermütig und boxten die Hunde, mit elf Monaten fehlte den Hundebrüdern noch das Selbstbewusstsein, um sich zu wehren. Die Tiere brauchten Zeit, um sich aneinander zu gewöhnen. Bis ein Schutzhund seine Herde effektiv gegen einen Wolf verteidigen kann, braucht er zwei bis drei Jahre. Zeit, die womöglich fehlt. „Der Wolf kann nächste Woche dastehen, vielleicht auch erst in ein oder zwei Jahren“, sagt Holger Albrecht.

 

Mittlerweile hat sich eine innige Nähe zwischen den Ziegen und den Hunden entwickelt. Die ersten zwei Jahre blieben Lewin und Lori zusammen, seit diesem Jahr bewacht Lewin die erwachsenen Tiere, Lori die Zicklein. Lewin ist so etwas wie der Musterschüler. „Der würde nicht mal essen, wenn die Ziegen weggehen“, sagt Holger Albrecht. Er würde auch niemals eine Hütte betreten. Viel wahrscheinlicher sei es, dass sich die Ziegen da reinlegen würden. Bei Lori sei das ein bisschen anders, Lori habe eben seinen eigenen Kopf.

 

Schmetterlinge flattern von Wildblume zu Wildblume, als Holger Albrecht sich mit einem Futtereimer in der Hand auf den Weg zu den Jungziegen macht. Nach wenigen Minuten gelangt er an den Pferch. Der abgesteckte Bereich ist so groß, dass von den Tieren nichts zu sehen ist. „Looori!“, ru Albrecht den Hang hinauf, seine Stimme hallt weit durch das Tal. Nichts passiert.

 

Er ruft noch mal, diesmal kommt zaghaftes Meckern zurück. „Kommt“, ruft der Landwirt. Eine Weile geht das hin und her, Lori hält sich aus der Unterhaltung raus, schließlich geht Albrecht den Tieren entgegen, und da rennen die Zicklein den Abhang hinunter, als hätte sie jemand mit einem Eimer ausgekippt. Lori lässt sich mit zusammengekniffenen Augen streicheln.

 

„Sie sollen sich als Herdenschutzhunde von Menschen nicht entfremden, aber auch nicht zu viel Gefallen an ihnen finden. Der Ansprechpartner ist das Tier, nicht der Mensch“, sagt Holger Albrecht. „Sonst würden die Schutzhunde nicht bei den Ziegen bleiben, sondern mit den Menschen mitgehen wollen. Beim Lori war das anfangs so.“ Über die Zeit hat er in seine Rolle gefunden, jetzt sei er eine Art Vater für die Zicklein. Eine ernsthafte Konfrontation hatten Lori und Lewin beide noch nicht, aber seit sie bei den Ziegen sind, reißen immerhin die Rothirsche die Schafspferche nicht mehr ein, wenn sie in der Brunft den Damen nachstellen.

 

Lewin und Lori haben keine Hütte und keinen Liegeplatz mit wärmegedämmtem Boden. Die Zäune, die sie und die Ziegen umgeben, führen Strom. In jedem anderen Bundesland wäre das erlaubt, nur nicht hier in Baden-Württemberg. Streng genommen dürfte es das Pilotprojekt mit Lewin und Lori gar nicht geben.

 

Für Sven de Vries wäre eine Änderung der baden-württembergischen Tierschutzverordnung nur ein erster Schritt. „Schäfer verdienen etwa 1.800 Euro brutto, ein ausgebildeter Herdenschutzhund kostet bis zu 5.000 Euro, das Futter pro Hund noch einmal 1.000 Euro pro Jahr“, sagt er. Und eigentlich brauche man zwei Hunde, „da muss ich ein ganzes Jahr für arbeiten“. Sachsen, Niedersachsen, Berlin, Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und das Saarland bezuschussen die Hunde in unterschiedlicher Höhe. Länder, in denen Wölfe bereits gesichtet wurden, leisten auch Ausgleichszahlungen, wenn Tiere nachweislich von einem Wolf gerissen wurden, 2015 waren das ingesamt knapp 108.000 Euro. Neben finanziellen Problemen könnte Sven de Vries auch ein Akzeptanzproblem bekommen. Große, kräftige Hunde, deren oberstes Ziel es ist, ihre Herde zu verteidigen, sind nicht ungefährlich. „Man kann doch nicht zum Wolf stehen und uns mit den Risiken alleinlassen. Wenn die Gesellschaft den Wolf möchte, muss man auch bereit sein, die Folgerisiken zu tragen“, sagt de Vries.

 

Im Allgäu ist ein nächster heißer Tag angebrochen, die Körper der Lämmer beben unter ihrem hechelnden Atem. Stefan Zigahn knirscht mit seinem Auto auf den Hof. Der 19-Jährige ist eigentlich oben auf der Alb mit seinen Eltern bei der großen Schafherde, jetzt will er hier nach seiner Hütehündin und ihren Welpen schauen. Mit zehn Jahren hütete Ziegahn das erste Mal Schafe, sein Vater fuhr nebenher Pakete aus, das Geld reichte nie.

 

Der Vater riet dem Sohn davon ab, Schäfer zu werden, aber da war es schon zu spät. „Ein Leben von den Schafen, mit den Schafen, für die Schafe ist das, was ich schon immer wollte“, sagt er. Mit Herdenschutzhunden hat er schon so seine Erfahrungen gesammelt. Es war der erste Tag seiner Ausbildung in einer Schäferei in Mecklenburg-Vorpommern, er wusste einfach nicht, dass diese zwei Hunde sich im Pferch zwischen den Schafen versteckten. „Als ich reinging, wurde ich plötzlich umgeschmissen.“ Die Hunde fixierten ihn am Boden, mit dem Handy konnte er den Schäfer zu Hilfe holen, erst dann ließen die Tiere von ihm ab.

 

„Sie haben mich nicht verletzt, nur die Herde beschützt“, betont er. Mit den Hunden arbeiten konnte er danach nicht mehr, für sie blieb er ein Eindringling. Er musste zu einer anderen Herde wechseln.

 

Ende Mai riss sich rund anderthalb Autostunden nordwestlich von hier ein Herdenschutzhund von seiner Kette los, sprang über den Zaun seines Grundstücks und biss eine 72-jährige Frau mehrfach in Kopf und Hals. Zu Hilfe gerufene Rettungskräfte konnten der Frau nicht helfen, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Als der Hund, ein türkischer Kangal, von seinem Opfer abließ, war es zu spät. Die Frau war tot.

 

Der Hund schützte keine Herde. Ein gut ausgebildeter Herdenschutzhund würde so etwas auch nie tun – nur wer sagt einem, wie gut der Hund ausgebildet ist, der gerade zähnefletschend vor einem steht? In der Schweiz, in der weit mehr Hunde Herden schützen als in Deutschland, veröffentlichte das Bundesamt für Umwelt nun eine Karte, die zeigt, wo Schafherden mit Schutzhunden weiden, damit Wanderer die Gebiete umgehen können.

 

Als Alternative für die Hunde werden übrigens Esel gehandelt. Sie flüchten nicht vor Wölfen, sondern könnten sie mit Schreien, Bissen und Huftritten vertreiben. Am effektivsten machen sie das, wenn sie allein sind. Einzelhaltung ist aber bei Eseln nicht erlaubt, das verstößt – Sie ahnen es – gegen das Tierschutzgesetz.

der Freitag 2017

FOTOS Svenja Beller