Gesichter der Flut

 

Naturkatastrophen haben stets eine private Seite: zerstörte Häuser, zerstörte Träume. Gideon Mendel porträtiert seit elf Jahren weltweit die Opfer von Überschwemmungen. Er zeigt sie in ihren verletzlichsten Momenten. Und oft in ihren stärksten  


Vielleicht wären die Flutopfer, die der südafrikanische Fotograf Gideon Mendel porträtiert, weniger wütend, wenn sie die Wassermassen als Strafe Gottes begriffen – so wie es die Bibel über die Sintflut lehrt. Vielleicht empfänden sie dann das Unglück, das sie getroffen hat, als weniger grundlos, erschiene es ihnen weniger sinnlos, alles verloren zu haben.

 

Aber Flut reimt sich auf Wut – das gilt in Indien wie in den USA, Nigeria oder Brasilien. Wut über zu späte Warnungen, zu niedrige Deiche, zu wenig Information. Wut, genährt vom Glauben, die Katastrophe hätte sich verhindern lassen.

 

Seit 2007 reist Gideon Mendel den Wassermassen hinterher, 18 Fluten in 13 Ländern bislang. Orte, an denen das Wasser ein „Davor“ und ein „Danach“ markiert; Mendel besucht die Menschen im Schwebezustand dazwischen. Er begleitet, wie sie durch die Zimmer waten, aufgeweichte Familienfotos aus dem Wasser fischen, über schlammverschmierte Möbel streichen – unfähig zu begreifen, was ihnen zugestoßen ist.

 

„Wenn dein Zuhause unter Wasser steht, dann ist der Anblick zunächst so surreal, dass er dich betäubt“, sagt der Fotograf. „Der wahre Albtraum aber kommt erst später, mit dem Schlamm, dem Gestank.“

 

„Drowning World“ nennt er sein Fotoprojekt – „Ertrinkende Welt“. Das Herzstück sind die „Eingetauchten Porträts“, die „Submerged Portraits“. Den Aufnahmen ist die konzentrierte Ruhe anzumerken, die Mendel den Menschen und sich selbst inmitten von Chaos und Zerstörung abverlangt. Statt einer Digitalkamera nutzt er eine analoge Mittelformatkamera, daher müssen die Porträtierten sehr still stehen, denn er kann sich nicht viele Fehler erlauben – auf einen Mittelformatfilm passen nur zwölf Bilder.

 

„Wenn ich sie fotografiere, dann verbinden sich die Menschen und ich“, erzählt der 59-Jährige. Die Betroffenen blicken unverwandt in die Kamera, in ihren Augen Verzweiflung, Vorwurf, Trotz. „Gleichgültig, in welchem Land, in welcher Kultur die Menschen leben, sie sind vereint in ihrer Verletzlichkeit. Das hat mich sehr getroffen.“

 

Wie schnell die Opfer wieder zurückfinden ins Leben, hängt auch davon ab, wie viel Hilfe sie erreicht. In Deutschland, beobachtete Mendel, werden Essen und Kleidung im Überfluss gespendet, in Nigeria sind die Flutopfer fast vollkommen auf sich allein gestellt.

 

Mit „Drowning World“ wuchs auch Mendels Wut. Das Projekt sieht er auch als Mahnung gegen den Klimawandel. „Ich fand, das Thema wurde zu distanziert dargestellt. Wir sehen Gletscher, Eisbären, und das alles in einer sehr glatten Bildsprache.“ Er aber lässt uns in die Augen jener schauen, die der Naturgewalt zum Opfer fallen.

 

Einige Überschwemmungen wie etwa jene, die Hurrikan „Harvey“ 2017 in den USA verursachte, sind in ihrer Stärke recht eindeutig auf die Klimaveränderung zurückzuführen – andere aber nicht. „Meine Fotos sind keine strengen, wissenschaftlichen, empirischen Beweise“, sagt der Fotograf.

 

Auch der Weltklimarat drückt sich vorsichtig aus, laut dem aktuellen Bericht von 2014 lassen zunehmend extreme Niederschläge auf höhere Überschwemmungsrisiken für einige Regionen schließen. Die Prognose des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung fiel Anfang 2018 viel deutlicher aus: Ohne Anpassungen wie Deicherhöhungen, Umsiedlungen oder ein verbessertes Management der Flüsse wären 2040 allein in Deutschland schon 700.000 Menschen von den stärksten Hochwassern bedroht – siebenmal mehr als heute.

 

Betroffen wären aber vor allem schätzungsweise 156 Millionen Menschen in Asien, gefolgt von 34 Millionen in Afrika. Weil die Forscher allerdings weder die zunehmende Urbanisierung noch das Bevölkerungswachstum in ihrem Modell berücksichtigt haben, werden diese Zahlen wahrscheinlich noch höher ausfallen.

 

 

Viele dieser Menschen werden sich eines Tages gegen die Türen ihrer versunkenen Häuser stemmen, sie werden durch Zimmer waten, sich betäubt fühlen, um ihre Existenz fürchten. Gideon Mendel wird einige von ihnen begleiten – ihre Fluten werden auch seine Fluten sein.  

GEO 2018