Wie ich versuchte, ein besserer Mensch zu werden

 

Statt auf das längst überfällige Klimaschutzabkommen zu warten, nehme ich die Dinge selbst in die Hand. Mein Ziel: Verantwortung für den von mir verursachten Anteil an der Erderwärmung zu übernehmen. Gar nicht so leicht


Wer hätte gedacht, dass ich mal versuchen würde, eine Polizistin davon zu überzeugen, dass sie mich bestrafen soll. Ich jedenfalls nicht. Jetzt aber gebe ich der Beamtin auf der Wache bei mir um die Ecke bereitwillig meinen Personalausweis und drücke mir selbst die Daumen, dass sie eine Anzeige aufnimmt, gegen mich. Aber vielleicht sollte ich erst mal erzählen, wie es dazu kam.


Liest man über den Klimawandel, wird ziemlich schnell klar, dass wir so nicht weitermachen können. Jetzt könnte ich natürlich darauf hoffen, dass die Staatengemeinschaft bei der diesjährigen Klimakonferenz in Paris – sagenhafte zwanzig Jahre nach dem ersten Treffen – ein verbindliches Klimaschutzabkommen beschließt, wie sie es sich vor vier Jahren für dieses Jahr vornahm. Aber ich habe meine Zweifel. Ich musste selbst etwas ändern.


Rechnen


Okay, ich bin kein Kohlekraftwerk oder Regenwaldabholzer, aber die eine oder andere Nachkommastelle werde ich schon zur Erderwärmung beitragen, so mein Verdacht. Und das musste ich dann erst einmal rausfinden. Im Internet gibt es viele Rechner, mit deren Hilfe man seinen CO2-Fußabdruck ermitteln kann. Ich entschied mich für den des Umweltbundesamtes. „Klimaschutz geht uns alle an“, begrüßte mich die Seite.


Da war ich richtig. Ich legte mir ein CO2-Konto an, um mich fortan immer wieder anmelden und im Bestfall positive Veränderungen eintragen zu können. Los geht’s, dachte ich, elektrisiert von dem Gedanken, die Dinge nun in die Hand zu nehmen. Aber schon die erste Frage stellte mich vor ungeahnte Herausforderungen, und das war die nach der Heizung. Ich bin Untermieterin in einer 3er-WG, unseren Mietvertrag hatte ich einmal beim Einzug gesehen. Ich wusste: An den muss ich jetzt wieder ran. Knapp zwei Wochen später beförderten ihn die etwas trägen Mühlen der WG auf meinen Schreibtisch, und ich musste erkennen, dass da gar nichts dazu drinsteht. Eine Heizrechnung war nicht aufzufinden, also beantragte ich den Energieausweis für unser Wohngebäude, aber bis der wiederum einige Wochen später in unserem Briefkasten lag, blieb unsere Heizung ein Mysterium.


Ich fühlte mich dann doch etwas ausgebremst und beschloss, erst mal mit dem Kästchen „Wert schätzen“ weiterzumachen, denn dass unser Haus vor 1978, in dem frühestmöglichen Zeitraum, gebaut wurde und unsere Heizung mit Erdgas lief, hielt ich für ziemlich wahrscheinlich. Später zeigte mir der Energieausweis, dass das Haus sogar schon 1900 gebaut worden war, offenbar kein Mensch wusste, wann die Erdgasheizungsanlage dazu kam („unbek.“) und dass der Energieverbrauchskennwert zwischen dem eines Neubau und dem eines energetisch gut modernisierten Einfamilienhauses liegt. Aber so genau wollte es der Rechner dann auch wieder nicht wissen.


Weiter ging es mit dem Strom. Leider hatte ich meine Mitbewohner vergeblich davon zu überzeugen versucht, zu einem Ökostromanbieter zu wechseln. Ihr Argument „Geld sparen“ siegte zwei zu eins. Immerhin rettete unser niedriger Verbrauch uns eindeutig unter den durch Strom verursachten CO2-Ausstoß des Durchschnittsdeutschen. Ich füllte die Felder zu meinem (niedrigen) Konsum aus und freute mich über mein gutes Abschneiden bei der Ernährung, was zum einen daran liegt, dass ich Vegetarierin bin, zum anderen daran, dass ich eine Frau bin – ein Mann hätte mit den gleichen Angaben jährlich 150 Kilogramm Kohlendioxid mehr ausgestoßen als ich.


Dieses kleine Erfolgserlebnis sollte aber relativ schnell an Bedeutung verlieren, denn dann folgte mein kalkulatorischer Genickbruch: Mobilität. Ich besitze ein halbes Auto. Es ist nicht mehr ganz neu und ziemlich groß, damit ich darin auch schlafen kann, und es macht mich ziemlich glücklich, denn ich kann damit ans Meer fahren, wann immer ich will. Außerdem macht mich die Bahn mobil. Und obwohl sie mir versichert, als Bahncard-Nutzerin CO2-frei zu reisen, stieg mein Emissionsbalken in die Höhe. Das alles wäre irgendwie noch verkraftbar gewesen, aber mit der nächsten Eingabe schoss der Balken nach oben, als hätte ich es bei Hau den Lukas auf das Klingelsignal abgesehen. Fliegen ist des Teufels, ich weiß. Aber ich mache es zum einen für meinen Beruf, denn nicht jede Geschichte liegt in Fahrradnähe, und zum anderen für mich. Durch das Reisen an fremde Orte habe ich unglaublich viel gelernt, aber leider auch unglaublich viel Kohlendioxid ausgestoßen.


Meine Dienstreisen mit eingerechnet, landete ich fünf Tonnen über dem Durchschnitt von 10,64 Tonnen im Jahr. Von der angegebenen „verträglichen Quote“ nicht zu reden, die liegt gerade einmal bei 2,5 Tonnen CO2. 1,08 Tonnen „öffentliche Emissionen“ landeten schon ganz ohne mein Zutun auf meinem Konto, vom Staat verursacht mit Verwaltung, Infrastruktur, Abfallentsorgung und solchen Dingen. Ich starrte auf die grüne 2,5-Ideallinie, die ungefähr auf Wadenhöhe an meinem Balken kratzte.


Reduzieren


Die konsequente Frage lautete nun: Wie kann ich das ändern? Vielleicht einen Bio-Selbstversorger-Passivenergie-Bauernhof gründen und nie wieder wegfahren? Ich rief erst mal den Mann hinter dem Rechner an, Hans Hertle vom Heidelberger Ifeu-Institut. Der erzählte mir, dass er und sein Team gerade dabei sind, den Rechner zu überarbeiten. Künftig gäbe es mit der „Wirkung auf Dritte“, zum Beispiel durch grüne Geldanlagen, und mit einem „Zukunfts-Szenario-Werkzeug“ einige Möglichkeiten, sein CO2-Konto zu verfeinern. Und dann sagte er aber auch noch, dass das mit dem Bauernhof gar keine so gute Idee sei, denn auf dem Land sei ja alles weiter weg, ich würde also mehr Auto fahren und natürlich auch mehr Platz in Anspruch nehmen als in meinem WG-Zimmer mitten in der Stadt.


Also überlegte ich, was ich an meinem Leben drehen könnte. Die Waschmaschine vom Flohmarkt und die gebrauchte Spülmaschine sind sicher nicht die effizientesten Vertreter ihrer Art, aber nun neue anzuschaffen, wäre bestimmt auch nicht im Sinne des Erfinders. Auf die Idee mit den abschaltbaren Steckerleisten war ich auch schon vorher gekommen, und ich heize bereits so wenig, dass die Außenwand hinter meinem Kleiderschrank zu schimmeln begonnen hat – trotz regelmäßigen Lüftens. Ich nahm mir vor, nun endlich mein Fahrrad zu reparieren, und glich die Flüge des vergangenen Jahres auf dem Portal Atmosfair aus. Das errechnet, wie viel CO2 ich mit meinen Flügen ausgestoßen habe und wie viel ich zahlen muss, um das wieder gut zu machen. Mit 85 Euro unterstützte ich nun „den Auf- und Ausbau von erneuerbaren Energien in Entwicklungsländern“.


Ich sah mich im Internet um, welche Tipps zum CO2-Sparen es gibt. Das Umweltministerium zählt vom Abtauen bis zu wassersparenden Duschköpfen alle erdenklichen Möglichkeiten zum Energiesparen auf, aber dass ich beim Wasserkochen den Deckel auf den Topf setzen sollte, erschien mir noch nicht wie der große Wurf. Die WWF-Jugend ruft zum Klimafasten auf, die Caritas empfiehlt mir unter anderem, für Klimaprojekte der Caritas zu spenden. Der amerikanische Carbon Fund rät, vorausschauender Auto zu fahren und rechnet vor, für wie viel Tonnen CO2 meine Spam-Mails verantwortlich sind. Für nur 41 Dollar würde eine Partnerfirma für fünf Jahre versuchen, die unerwünschte Flut einzudämmen. Der Blog „52 Wege“ gab mir nicht nur naheliegende Tipps wie „Reise weniger“ oder „Kaufe weniger“, sondern tatsächlich auch die Empfehlung „Iss weniger“, das spare Ressourcen.


Verantworten


Selbst wenn ich die nun ausgeglichenen Flüge von meiner Rechnung abzog, die Bahn mit ihrer CO2-Freiheit beim Wort nahm und die kleinen Sparmaßnahmen mal schätzungsweise berücksichtigte, landete ich zwar endlich unter dem Durchschnitt, von den 2,5 Tonnen war ich aber immer noch weit entfernt. Erkenntnis: Wenn ich mich nicht in (CO2-freie) Luft auflöse, bleibt meine Mitschuld am Klimawandel. Wenn ich also für Zerstörung, Leid und Tod in der Welt verantwortlich bin, dann musste ich dafür bestraft werden. Ich beschloss, mich der Polizei zu stellen.


Ich setzte mich mit Anwälten in Verbindung und bat sie, mich bei meinem Vorhaben, mich selbst anzuzeigen, zu unterstützen. Und wenn ich erst noch dachte, sie würden mich für verrückt erklären, war ich dann doch überrascht, wie viel das deutsche Gesetz für mich bereithält. Der oft für Greenpeace tätige Rechtsanwalt Michael Günther verwies mich auf Artikel 20a des Grundgesetzes, in dem es heißt: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“ Streng genommen begeht der deutsche Staat also Verfassungsbruch, indem er selbst das Klima anheizt und auch sein Volk nicht daran hindert.


Ich traf die auf Umweltrecht spezialisierte Rechtsanwältin Jana Gaßner, die mir erzählte, dass man sich in der Anwaltskollegenschaft mal viel von besagtem Artikel 20a versprochen habe, er aber unverbindlich sei und eigentlich nie angewandt würde. Ich brauchte etwas Konkreteres. Und da zeigte sie mir das Umweltschadensgesetz, das eine „direkt oder indirekt eintretende feststellbare nachteilige Veränderung einer natürlichen Ressource (Arten und natürliche Lebensräume, Gewässer und Boden)“ durch eine „direkte oder indirekte Einbringung von Stoffen“ bestraft. Ich hätte nur ein Kausalitätsproblem, sagte sie noch. Da CO2 eine ziemlich diffuse Sache ist, sei es mir nicht eindeutig zuzuordnen, und schon gar nicht der dadurch verursachte Schaden.


Zurück an meinem Schreibtisch wälzte ich das sechsseitige Gesetz, die dazugehörige zwanzig Seiten umfassende EU-Richtlinie und den 41 Seiten langen Gesetzentwurf. Was mich erleichterte: Würde ich tatsächlich für schuldig befunden, müsste ich nicht ins Gefängnis, sondern meinen entstandenen Schaden sanieren. Und auch wenn ich nicht wusste, wo genau in der Welt „mein“ CO2 nun das Klima anheizt, könnte ich doch für den reinen Ausstoß die Verantwortung übernehmen, befand ich. Den CO2-Ausstoß eines Durchschnittsdeutschen von knapp elf Tonnen im Jahr könnte man beispielsweise mit der Pflanzung von grob gerechnet 880 Buchen kompensieren.


Und so bin ich auf der Polizeiwache um die Ecke gelandet. Bisher bin ich erst einmal hier gewesen, als eine Freundin von mir ihr Auto als gestohlen meldete und die diensthabende Polizistin ungläubig fragte: „Das ganze Auto?“ Diese Frage wandert nun durch meinen Kopf und bringt meine sorgfältig überlegten Sätze durcheinander. Bestimmt eine Stunde habe ich zu Hause „Selbstanzeige“ geübt, immer mit der Variante „böser Cop“, denn davon ging ich irgendwie aus.


Umso überraschter bin ich von der jungen blonden Polizistin, die kauend an den Tresen kommt und entschuldigend grinst. Ich verkünde feierlich: „Ich möchte mich selbst anzeigen“, und da verschluckt sie sich fast an ihrem Brötchen. Sie stellt dann wirklich ziemlich genau die Fragen, mit denen ich gerechnet habe („Was ist denn passiert?“, „Wie kommen Sie denn darauf?“, „Welchen Straftatbestand soll das denn erfüllen?“) und ich spule ab, was ich gelernt habe. Daraufhin entspinnt sich eine ziemlich angeregte Diskussion zwischen uns, auch wenn wir an dem einen Punkt nicht weiterkommen, bei dem sie mir immer wieder erklärt, dass ich ja jetzt nicht allen Menschen das Fliegen und Heizen und so verbieten könne, und ich ihr immer wieder erkläre, dass ich das ja auch gar nicht will, sondern für meinen eigenen Schaden aufkommen möchte. Und deswegen die Selbstanzeige.


Nachdem sie zweimal mit ihrem Chef im verglasten Nebenraum gesprochen und die Wasserschutzpolizei angerufen hat, die in Hamburg für Umweltdelikte zuständig ist, beginnt sie ihren Satz mit „rein menschlich kann ich Sie total verstehen, aber...“ Das kann sie jetzt natürlich nicht wissen, aber genau den gleichen Satz hörte ich mal von einer Bahnangestellten bei der Diskussion darüber, ob ich nun schwarz gefahren sei oder nicht, und auch da nahm die Sache kein gutes Ende. „...ich kann da leider nichts machen“, schließt sie folgerichtig. „Ein Umweltverstoß, wie Sie ihn empfinden, ist nicht zu sehen.“ Sie schreibt einen internen Bericht und dann sagt sie noch etwas sehr Schönes: „Sie können die Welt nicht retten, das habe ich auch schon mal versucht.“


So schnell will ich mich nicht geschlagen geben und rufe selbst bei der Wasserschutzpolizei an. Ich lande bei ebenjener Beamtin, die die Polizistin bereits konsultiert hatte, und die hält mich offenbar für weitaus verrückter. „Wenn Sie in eine Polizeiwache gehen und sagen: ‚Ich habe draußen auf dem Gehweg ein Blatt geklaut‘, dann ist auch ziemlich klar, dass das keine Straftat ist“, sagt sie etwas entnervt. Das Klimaproblem mit einem Blatt zu vergleichen, kommt mir dann doch ein bisschen profan vor. Und weil sie das merkt, schlägt sie mir vor, ich solle ihr einen Brief schreiben, den sie dann gerne an die Staatsanwaltschaft weiterleite. Aber so, wie sie das Wort „gerne“ betont, meint sie, dass sie das eigentlich nicht gerne macht. Ich nehme ihr Angebot trotzdem dankend an und schreibe den Brief. Seitdem herrscht Stille.

 

Vielleicht wurde mein Anliegen im Postkorb „Verrückte“ abgelegt, der traditionsgemäß im Sommerloch abgearbeitet wird, vielleicht prüft die Staatsanwaltschaft aber auch schon eine Gesetzesänderung, wer weiß? Solange ich warte, würde ich aber gern eine Frage der jungen Polizistin an alle weitergeben, die das hier lesen: „Wo kämen wir denn da hin, wenn das jetzt alle machen würden?“

greenpeace magazin 2015